Die Empörungsminute
Aufgrund von häufiger auftretenden, schrecklichen Ereignissen wie: Geisteskranke stossen Familien vor einen Zug, Rentnerinnen stechen Kinder ab, ehemalige Mitbewohner werden auf offener Strasse niedergeschwertert, Dieter Bohlens Kaffeemaschine gibt den Geist auf, Fäkalien vergiften Schwimmer im Bodensee etc. kommen unsere Volksvertreter nicht mehr aus Ihrer Empörung (und tiefster Betroffenheit) heraus. Da auf diese Weise keine vernünftige Regierungsarbeit mehr möglich ist, hat sich der Stadtrat entschlossen, die offizielle Empörungsminute einzuführen. So soll die Empörung ihren festen Platz im Tagesablauf bekommen, was für die Psychohygiene der Bevölkerung und das Bruttosozialprodukt vorteilhaft sein wird, wie Experten vermuten.
Künftig soll in Markscheid jeden Tag Punkt 11.59 Uhr mittags allen Politikern, aber auch den tätigen und sogar werktätigen Bürgern, die Möglichkeit gegeben werden, gemeinsam ihre tiefstempfundene Empörung kund zu tun. Damit wird das lästige Pressemitteilungverfassen, Interviewgeben und Betroffenheitsgetue hinfällig und kann guten Gewissens und mit Inbrunst zwischen 11.59 und 12.00 ausgelebt werden.
Im Detail ist folgender Ablauf vorgeschrieben:
Jede und jeder lässt um 11.59 Uhr grad alles stehen und liegen, richtet sich auf – ein gerader Rücken ist zwingend notwendig für eine authentische Empörung – lässt ein 1- minütiges, markscheiderschütterndes Gebrüll hören, gefolgt von 3-4 Schluchzern. Wer nicht weiss, wie das geht, darf ein Buch über Urschreitherapie lesen oder im Zoo den Brüllaffen lauschen.
Dabei trommelt man sich auf den Brustkasten. Bei Empörten, bei denen der Brustkasten wegen natürlicher oder künstlicher Vorbauten unter weichen Schichten nicht zugänglich ist, darf auch mit den Füssen auf den Boden gestampft werden. Wer mangels Füssen oder anderen Mängeln auch dazu nicht imstande ist, darf mit irgendetwas auf irgendetwas herumtrommeln.
Wichtig ist, dass der Empörung lautstark Ausdruck verliehen wird. Ca. 95-98 Dezibel sollten schon erreicht werden.
Der Grund für die tägliche Empörung wird von einer unabhängigen Jury, zusammengesetzt aus einem Mitglied des Stadtrates, einer Stimme des Volkes (von einem Stammtisch handverlesen) und einem Empörungskastingsspezialisten von RTL II evaluiert und jeweils am Vortag bekannt gegeben.
Wer an der Empörungsminute nicht teilnimmt, wird öffentlich angeprangert, bzw. mit einem Shitstorm übergossen. Wer teilnimmt und nicht weiss, worum es geht, wird verbal massivst entwertet, bei Wiederholung verprügelt und psychiatrisch untersucht.
Der Stadtrat geht davon aus, dass diese Empörungsminute die Markscheider einander wieder näher bringt und schliesst die Verlautbarung ab mit einem Trommeln auf die Brust und dem weisen und zutiefst betroffenen Satz: „Geteiltes Leid ist halbes Leid und wir sind schliesslich alle auch nur Menschen!“.