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Markscheids rote Liste – Teil 2

Veröffentlicht von Phacops am

Willkommen zu Markscheids roter Liste der vom Aussterben bedrohter Arten aus heimischem Wald, Flur und Haus. In diesen turbulenten Zeiten verschwinden Dinge aus dem Bewusstsein oder vermodern in düsteren Kellern oder warten frustriert und verzweifelt auf den Sperrmüll.

Heute gedenken wir einer eigentümlichen Art. Sie nennt sich „Videokassette“. Es ist nicht einmal 20 Jahre her, da bevölkerten die putzigen und zutraulichen Tiere nahezu jedes Heim in Mitteleuropa, Nordamerika und dem asiatischen Kontinent. Sie füllten allerlei Schubladen, Regale und fanden sich an den passendsten und unpassendsten Stellen. In Wohnungen und Häusern. In der freien Natur waren sie so gut wie nie anzutreffen, als hätten sie eine Allergie gegen frische Luft.

Wie von alleine füllten sich diese Nutztiere in ihren Ställen, die ausschließlich in engen Partnerschaften mit den sogenannten Fernsehern lebten, mit Inhalten, die von sogenannten Fernsehsenders ausgestrahlt wurden. Es gab sie hauptsächlich in 3 Arten: Video2000, Beta sowie VHS. Es war spannend für den Evolutionsforscher zu sehen, wie der Kampf ums Dasein zwischen den drei Arten tobte, bis am Ende VHS übrig blieb. Professor Dr. Dr. von Schladming stellte damals die Theorie auf, dass dieser Sieg nur durch den Einsatz im Bereich der Nacktfilme zustande kam. Diese steile These wird jedoch von seinen Kollegen weit von der Hand gewiesen. Von den exotischen Gattungen wie  Businessvideos schweigen wir, denn sie traten nur in sehr kleinen Stückzahlen auf, dafür haben sie aber bis heute noch in ihren Nischen überlebt und sind somit den lebenden Fossilien zuzuordnen.

Die Symbiose der Videokassette mit dem Fernseher ist eines der erstaunlichsten Phänomene der einheimischen Natur, insbesondere weil die Videokassetten ohne die Fernseher so gut wie nicht fortpflanzungsfähig waren, jedoch die Fernseher sogar deren Aussterben überlebten und auch heute noch weltweit anzutreffen sind, wenngleich manchmal ohne das Empfangsteil.
Doch, wie es in der Evolution so üblich ist, verlor die analoge Videokassette den Wettlauf beim Kampf ums Dasein gegen die DVD oder Blueray.
Lassen Sie uns die letzten Exemplare bewahren, die heute noch anzutreffen sind und gedenken wir der mannigfaltigen Ausprägung dieser Arten und Ausprägungen, die jedem älteren Mitbürger noch wohlbekannt sein sollten.

Ein ähnliches Schicksal fand die sogenannte Compactkassette, die noch vor wenigen Jahrzehnten in nahezu jedem Haushalt Deutschlands zu finden war. Das nützliche und possierliche Tierchen, hatte nahezu als einziges im Tierreich die Fähigkeit, Töne zu speichern und zur Wiedergabe zu bringen. Im Gegensatz zu den Papageien, die dies nur unzureichend vermögen, war die Leistung der Kassette nur noch vergleichbar mit dem älteren Verwandten des Tonbands. Dieses Tonband war in Anschaffung und Unterhalt wesentlich teuer und wie bei den Dinosauriern durch die schiere Größe nur zu einem Dasein am Rande der Gesellschaft zu finden. Natürlich (wie so oft) bei den sogenannten Liebhabern, die sich weder von Kosten noch Platz davon abhalten ließen, diese sorgfältig zu hegen und zu pflegen.

Das waren noch Zeiten …

Leider kam es bei den Compactkassetten immer wieder zu bedauerlichen Verlusten durch den sogenannten Bandsalat, der wenngleich unbekömmlich, dem Tier schadete und es in den meisten Fällen umbrachte. Da mochten die Menschen noch so schnell Erst-Hilfe Maßnahmen vornehmen und zerknitterte Teile mithilfe eines Stiftes wieder eindrehen. Jaulende Klänge und erneuter Bandsalat waren meist die Folge und die Kassette endete auf dem Müllplatz.

Schlimmer noch als diese bedauerlichen Einzelschicksale war der brutale Fortschritt der digitalen Revolution. Analog zum Aussterben der Dinosaurier wurde die Compactkassette durch die CD verdrängt. Lasst uns die wenigen Exemplare, die in freier Wildbahn zu finden sind, bewahren und uns an deren fast meditativen runden Bewegungen zu erfreuen.

Kategorien: Kultur