Markscheid Air: Eine Winterreise
Die Maschine von Markscheid Air ist ein Paradebeispiel großzügigen Einsatzes von Rostschutzmitteln, gebrauchtem Panzerband und gefälschter Sicherheitszertifikate – und ihre Flugtauglichkeit das Ergebnis eines gekürzten Wartungs- und Reparaturbudgets in Verbindung mit social-media-gestützten Expertentipps. Der Preflight-Check erfolgt per WhatsApp-Videoschalte des frühschoppierenden Bordingenieurs aus dem regelwidrig geöffneten „Kaisereck“ („Homeoffice“) und in der Flugkabine untermalt ein rückwärts abgespieltes Weihnachtsalbum von Hansi Hinterseer in Moll stimmungsvoll die visuelle Präsentation der akustischen Sicherheitshinweise durch Mitglieder des Deutschen Fernsehballetts von 1984.
Der Pilot – ein nachtaktiver Kenner sämtlicher Ausnüchterungszellen zwischen Spitzbergen und Feuerland – leidet seit Juni ’44 unter einer Landungsphobie und chronischer Gicht, weiß dies aber mittels eines anständigen Sechsämtertropfens zu kompensieren, und spätestens ab der zweiten Hälfte des Fluges mit der ein oder anderen Anekdote zu begründeter Flugangst, Darmverschluss, viel zu komplizierter Bordtechnik oder einem nicht näher definierbaren „Früher“ zu unterhalten – wenn auch mit zunehmend weinerlichem Tonfall.
Markscheid Air ist bekannt für den häufigen Totalverlust von Maschinen, aber auch den Zugewinn an Gefühlen des Auserwählt-Seins durch die „eventuell Überlebenden“, die hier liebevoll „Passagiere“ genannt werden. Deren zuvorkommende Vernachlässigung beginnt schon mit der Menüauswahl – von Insidern auch „Last Supper“ oder „Ein verstörender Gruß aus der Bordküche“ genannt – die eher einer Konfrontation denn einer Option entspricht und mit Fisch oder Pizza aus der Hand zweier Markscheider Gastronomen den Vergleich mit einem verlustreichen Nahkampf mit einem verkaterten Nashorn nicht zu scheuen braucht. Aufgrund der kühlkettenunterbrechungsbedingten Geruchsentwicklung der Mahlzeiten (die an Bord gleich in der Petrischale serviert werden) ist Markscheid Air übrigens die einzige Fluglinie, bei der man während des Fluges (auf ausdrückliches Anraten des Gesundheitsamtes) das Fenster öffnen kann.
Der Flug ist gewohnt unruhig und die Positionsanzeige zeugt von touretteartigen Kursausbrüchen jenseits der mittels einer roten Linie angezeigten Flugroute, was darauf hindeutet, dass die Flasche Sechsämtertropfen mal wieder außer Reichweite des Piloten zu liegen kam, nachdem er dem Alkohol – wie immer auf einem seiner Flüge – hoch und heilig und mit nachdrücklich kugelstoßerischer Geste abgeschworen hatte und bald darauf seinen Irrtum wieder gutzumachen suchte.
Wer verzweifelt, der wird in den viertelstündlich herunterfallenden Bibeln, die seit Übernahme der Aktienmehrheit an Markscheid Air durch die Markscheider Kirche die Sauerstoffmasken ersetzen, Trost finden – auch wenn es im MamM-Verlag beim Druck der heiligen Bücher zu einem Fehler kam, in Folge dessen nicht das Gesamtwerk, sondern die mehrfache Wiederholung der Geschichte Hiobs die Seiten füllt.
Nach der erstaunlich sanften Landung im Schaumteppich der jamaikanischen Feuerwehr erfolgt die sofortige Einschiffung auf der Emmental. Das Schiff ist im Stil einer Schweizer Berghütte ausgestattet und es gibt nichts Schöneres als einen von Alphörnern begleiteten Sonnenuntergang in der Karibik. Die Animateure – alle samt in Tracht und mit einem exotischen Winkel-Dialekt ausgestattet – stehen schon gleich morgens auf der Matte, und lassen vermuten, dass eine Insel nicht unbedingt von Wasser umgeben sein muss. Diese Krüppel sind schon um 7 Uhr so gut aufgelegt, dass man sich in der Hemingway-Bar den finalen Schuss an die Schläfe setzen möchte. Es gibt aber keine Hemingway-Bar auf der Emmental, sondern nur ein Wilhelm-Tell-Stübli. Notobstwassern! Besonders hervorzuheben ist der OnBoard-Gletscher, der während der Kreuzfahrt schmilzt – in Echtzeit. Beeindruckend!
Der Kapitän der Emmental – ein im Nebenberuf als Pilot arbeitender und nachtaktiver Kenner sämtlicher Ausnüchterungszellen zwischen Spitzbergen und Feuerland …