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Das Ende meiner Kungelsucht

Veröffentlicht von ORF am

In meiner Sturm- und Drang-Zeit war ich ein großer Kungler vor dem Herrn. Bevor Unmut oder gar Entsetzen aufkommt: Kungeln hieß in meiner Gegend nicht mehr oder weniger als tauschen. Ich gebe dir für dieses jenes, oder gibst du mir das, bekommst du im Gegenzug dafür anderes. Jedenfalls kungelte ich mich so durch die Jahre meiner Kindheit bis ins anfängliche Jugendalter. Es begann mit Murmeln und steigerte sich zu Größerem. Immer in der Hoffnung, den anderen über den Löffel balbiert und selbst ein Bombengeschäft dabei gemacht zu haben.

Mein „größtes“ Unternehmen war, dass ich ein altes rostiges Kurzschwert (Vorläufer vom Bajonett), auf welches ich beim Brunnengraben gestoßen war, gegen das mich damals sehr reizende Buch „Die Geschlechterfrage“ von Herrn Schnabel (P14 Altersangabe) tauschte (ich war gerade 12). Dieses wiederum, nachdem ich heftig darin geschmökert hatte, tauschte ich gegen verrottete Münzen. Nach geraumer Zeit gingen diese gegen drei alte Erbschaftsdokumente aus dem 13.Jahrhundert raus.

Immer wieder schön: Alte Dokumente

Ich konnte kaum etwas von dem lesen, was da auf dem Schweinspergament stand. Es war Mittelhochdeutsch. Da hätte ich einhalten sollen, aber meine Wissbegier fand keine Ruhe. Ich wollte wissen, was da drauf stand. Die Dokumente gelangten in den Besitz von Übersetzern und landeten danach in der Landesarchivanstalt Dresden. In einem Schreiben wurde mir mitgeteilt, dass diese Erbschaftsurkunden durch Kriegsereignisse in meinen Besitz gelangt sein müssten und hiermit ersatzlos eingezogen wurden. Das war es. Auf meiner Habenseite stand eine dicke Null, und ich konnte froh sein, dass dies damals damit abgetan war.

Die Testamente stammten tatsächlich aus einer kriegsumtosten Stadt im deutschen Osten. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges zogen die polnischen “Befreier” ein und hatten aus einem Museum alles aus den Fenstern geworfen, was nicht niet- und nagelfest oder zu gebrauchen war (auch die Dokumente). Unterhalb des Gemäuers war der Vater eines Freundes auf der Flucht und steckte sich dabei einiges davon ein. Woher das Landesarchiv dies wusste, ist mir nicht klar. Da ich meinen Freund oder besser dessen Vater nicht bloßstellen wollte, als man mich nach der Herkunft meines ehemaligen Schatzes fragte, hüllte ich mich in Schweigen und bin bis heute von meiner Kungelsucht geheilt.