Das klerikale Treiben in Markscheids Kirchengeschichte (Kapitel VI)
Die Industrialisierung
Nachdem in der Barockzeit viel spirituelle Energie in Oberflächlichkeiten, wie Vergoldereien, Gips und Stuck verplempert worden war, kam im 19. Jhdt. mit Riesenschritten die Dampfmaschine in Form von Eisenbahnen ins Land.
Und obwohl diese Maschinen die Arbeitskraft des Menschen um ein Vielfaches vergrösserten, wurde bis heute nie mehr so viel und so lange gearbeitet wie in diesem Jahrhundert.
Aber endlich bewegte sich wieder etwas!
Die unbändige Kraft dieser Maschinen löste auch in kirchlichen Kreisen große Begeisterung aus. Man hoffte, mit Dampfmaschinen wieder mehr Gottesfurcht zu den Gläubigen zu bringen.
Die dampfhammerbetriebenen Schmiedewerkstätten, in denen in Sekundenschnelle Stahl zu flachen Blechen geklopft werden konnte, beflügelten die Kleriker bei ihren Phantasien, wie mit Sündern umzugehen sei. Gottes Allmacht dampfhammerverstärkt zu präsentieren, war eine sehr verführerische Vorstellung. Also gaben sie auch in Markscheid allerlei klerikale Maschinen in Auftrag.
So liess der technikbegeisterte und eher kleingewachsene Markscheider Pfarrer Schaufelbert Heitzer (1799-1866) jeweils am Anfang und am Ende der Gottesdienste dort, wo heute die Orgel steht, eine riesige Dampfmaschine laufen. Da sie aber ausser Dampf, Rauch und Getöse nichts produzierte, liessen das anfängliche Staunen und die Begeisterung bei den Gäubigen rasch nach. Beim ersten Testlauf war wegen der starken Vibrationen das grosse Kruzifix von der Wand gefallen und Jesus zerbröselte in einer Wolke von Gips. Die Markscheider vermuteten ein schlechtes Omen.
Der Küster Josef Zapf, genannt der „Zapfensepp“ (1802-1853), dessen Stärke nicht die Mechanik, sondern eher die Pflege und Nutzung des Messweinkellers war, vergass, die Lager und Ventile der neuen Maschine zu schmieren. Und so explodierte eines Sonntagmorgens der Kessel der kirchlichen Dampfmaschine und erlöste damit 23 der 27 anwesenden Gläubigen von ihrem irdischen Leid. Der Küster Zapf überlebte, weil er besoffen im Keller lag und Pfarrer Heitzer kam mit kleineren Verbrühungen der oberen Körperhälfte davon, geschützt durch die üppigen barocken Verzierungen der Kanzelbrüstung. Nun kam ihm zugute, was er immer kritisiert hatte, dass man ihn nämlich hinter der kirchlichen Ornamentik kaum sah, wenn er von der Kanzel herab wetterte, weil nur sein Kopf die knuffigen, vergoldeten Engelchen mit ihren Trompeten überragte. Und das auch nur, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte.
Nach dieser schrecklichen Katastrophe kamen unter den einfachen Bürgern Markscheids doch Zweifel auf am göttlichen Auftrag der Dampfmaschinen. Trotzdem forschten die Kleriker emsig weiter: Es wurde an dampfbetriebenen Beichtstühlen gearbeitet, an Hochdruckweihrauchverdampfern, die sich auch als ein wenig gefährlich in der Handhabung, aber als hoch wirksam herausstellten, an maschinellen Heiligenschein-Poliermaschinen, die man über dem Türsturz anbrachte und die jedem Eintretenden gleich den Heiligenschein – bei manchen auch nur die Glatze, falls vorhanden – auf Hochglanz polierte. Die modebewussten Markscheiderinnen, von denen es etwa fünf gab, waren nicht begeistert über die neuen Spiritualpolierer, weil die Perücken oder Echtfrisuren, die damals kunstfertig aufgetürmt waren, durch diese „Halo-refresher“, wie die Engländer sie nannten, oft einfach weggeschreddert wurden und die Damen während des Gottesdienstes dann doch zu sehr mit der Neuordnung ihrer Frisuren abgelenkt waren. Auch mechanische Rosenkranzgebetsmühlen und vieles mehr wurde entwickelt. Dem Erfindergeist waren keine Grenzen gesetzt.
Indes, der Nutzen dieser Apparate war insgesamt begrenzt, weil damit doch kein rechter Glaube aufkommen wollte. Bis zu jenen denkwürdigen Tagen, als die Erkenntnisse der Elektrizität wahre Wunder bewirkten:
Die Elektrizität, die man seit der Antike nur in Form von Zitteraalen und von Blitzen bei Gewittern fürchten gelernt, oder in Form von funkenschlagenden Katzenfellen belächelt hatte, wurde domestiziert und der Klerus frohlockte wieder: die Erleuchtung schien nahe und nun auch auf technischem Weg erreichbar.
Auch erkannte man die Beschaffenheit der menschlichen Seele, der man vorher dampfigen Ursprung zugeschrieben hatte, nun als eher von elektrischem Charakter. Den Beweis, dass das Leben elektrisch sein musste, erbrachte nämlich der Markscheider Domprobst Stromolf Zündel von Funkenstein (1789-1885). Seine Experimente mit Fröschen und verstorbenen Klosterbrüdern oder zumindest mit Teilen derselbigen wurden 1818 in einem berühmten Roman von einer Engländerin namens Shelley literarisch verarbeitet und fanden bis ins 21. Jhdt. weite Beachtung.
Da die Kirche diese Experimente aber nicht gerne sah, weil sie nicht in den Kellern des Vatikans durchgeführt worden waren, wurden die echten Forschungsresultate des Markscheider Domprobstes auf dem europäischen Festland zunächst geheim gehalten und schliesslich 1934 vernichtet, weil des Domprobsts Grosstante mütterlicherseits keine ausreichend arische Herkunft nachweisen konnte. Dies hat Shelley in der literarischen Hauptfigur, der im Roman eine schweizerische Herkunft mit möglicherweise jüdischem Namen gegeben wurde (vielleicht ein ironischer Bezug auf die schweizerische Landeswährung), deutlich zum Ausdruck gebracht. Hier sehen wir Stromolf Zündel von Funke (zweiter von links; die Personen rechts von ihm sind unsichtbar, aber durchaus vorhanden) bei der Arbeit:
Die Technikbegeisterung des 19.Jhdt. führte schliesslich sogar zur Entwicklung von voll-mechanischen Priestern; die Grobmotorik dieser klerikalen Hilfskräfte mit mechanischem Antrieb – der Begriff „Roboter“ wurde erst im 20. Jhdt entwickelt- war allerdings noch ziemlich grob, der Orientierungssinn ebenfalls. Auch waren sie störungsanfällig, manch ein Beichtstuhl wurde beschädigt, weil bei Beendigung der Arbeit die Hilfskraft einen Ausgang aus dem Beichtstuhl nahm, wo gar keiner war und ausserdem neigten sie zum Festhängen. Einmal, wird berichtet, wurden bei den liturgischen Lobpreisungen der Jungfrau Maria die Worte „gebenedeit sei die Frucht Deines Leibes…“ so lange wiederholt, bis die Gläubigen vor Erschöpfung zusammenbrachen und eine gnädige Seele der technischen Hilfskraft den Stecker zog. Solche Ereignisse und schlimmere führten dazu, dass im vatikanischen Konzil von 1869 den künstlichen Hilfs-Priestern die Berufsausübungsbewilligung wieder entzogen wurde. In Markscheid wurde der letzte von ihnen, der beliebte Gottlob Popanzer Typ XII B (1864-1869) im gleichen Jahr in Rente geschickt und demontiert. Reste von ihm können im Devotionalienhandel von Braesius besichtigt und günstig erworben werden. Die Schrauben und Muttern mit der rostigen Patina des 19.Jhdts machen sich gut auf jedem Hausaltar.