Das klerikale Treiben in Markscheids Kirchengeschichte (Teil V)
Der Kampf wider die Fleischeslust in der Barockzeit
Die letzte verbriefte Tat seines erfüllten Lebens vollbrachte Markscheids tüchtiger Bischof Impertinenz V., indem er den Hurenzins einführte: Jeder Priester, Vikar und Messdiener musste an den Bischof Luststeuern bezahlen. Man munkelte, dass Impertinenz hier besonders streng und unnachgiebig war, weil die eigenen Lenden von der Sauferei und Völlerei schon völlig kraftlos, das Gemächt verschrumpelt und für den lebenslustigen Bischof ein grosser Kummer waren, was seinen heiligen Eifer wider den Sexualismus enorm beflügelte:
Jede geschlechtliche Tätigkeit eines Klerikers wurde also besteuert. Von der soliden Handarbeit bis hin zur erotischen Massenerleuchtung eines aus dem Ruder gelaufenen Sonntagsgottesdienstes, jeder Tropfen Sekret musste besteuert werden, war doch die Erde ein Jammerthal und je grösser der Jammer, desto höher der Platz im Jenseits. Das war schon damals bekannt. Aber zurück zu den Kosten der geschlechtlichen Freuden:
Trieb es ein Pfarrer mit einer Nonne, war der Preis sehr hoch, mit einer Bauersfrau gerade noch so erschwinglich und mit einer Hure durchaus bezahlbar. Wurde gar ein Klerikalbastard gezeugt, waren die Abgaben besonders hoch, da das Verbergen dieser fleischlichen Entgleisung doch mit Aufwand verbunden war. Die archäologischen Funde von Kinderskeletten in Frauenklöstern zeugen noch heute von diesem Aufwand. Und weil Frauen in diesen Jahren offiziell auch in Markscheid noch gar keine Menschen waren – die Kirche gestand ihnen dieses Privileg erst im 20. Jahrhundert widerstrebend zu – war diese Steuer zwar etwas verwunderlich, aber durchaus einträglich. Die Kirche war der Meinung, dass eine Vereinigung mit Nichtmenschen und seien sie auch zweibeinig und noch so verlockend, irgendwie gegen die göttliche Ordnung verstosse.
Impertinenz V. konnte die Früchte seines rührigen Lebens nicht lange geniessen. Er fiel seiner eigenen Methode der missionarischen Überzeugungskraft zum Opfer. Nach einer anständigen Zecherei mit dem sehr frommen Pfarrer eines benachbarten Sprengels, einem gewissen Theobombus Flatullus, wollte er diesen wie üblich aus dem Fenster stossen. Da verhakte sich seine goldene Bischofskette im Bart des Theobombus, worauf beide ihren letzten Fall gemeinsam antraten und zu Füssen des Rathausturms zerplatzten.
Nach der ruhmreichen Zeit des Impertinenz V. besass Markscheids Kirche erst mal volle Kassen, was einen glimpflichen Übergang in die Barockzeit ermöglichte. Diese Epoche, eine Zeit des Illusionären, der überbordenden Verzierungen, ist bekannt dafür, dass in ihr verschiedenste Formen des schönen Scheins entwickelt wurden: Die Scheinheiligkeit, der Trauschein und der Mondschein, der als blosse Reflektion des Sonnenscheins damals noch nicht entlarvt war, um nur die bekanntesten Scheine zu erwähnen. Bald wurden auch neue Handwerkskünste und Berufe benötigt, um die Bedürfnisse des Scheins zu befriedigen.
Es entstanden die Zünfte, eine Art Mafia des ausgehenden Mittelalters. Wir nennen hier nur die Berufe, die mit der Pflege des Scheins zu tun haben. Dazu gehörten die Perückenmacher, die Kirchturmvergolder, die Federschmücker, die Scheinwerfer, die Barockengelaufbläser, die Schiesspulverköche, die Ständelfurien und die Nebelmeuchler. Da die letztgenannten drei Berufsgruppen mit der Markscheider Kirche aber höchstens indirekt zu tun hatten, sollten sie gleich wieder vergessen werden.
1723 spalteten sich Markscheids Gläubige in zwei Lager. Vorausgegangen war die Ankunft der weltberühmten Zwillingswanderprediger und Pilger Kretin und Pletin.
Ihre Gottesdienste waren so mitreissend wie unterschiedlich. Es bildeten sich zwei Lager unter den Markscheider Gläubigen: Die Kretinisten und die Pletisten. Der Kretinismus bestach durch seine Einfachheit: „Alles, woran ich glaube, ist wahr”, während der Pletismus besagte, dass nur, wer täglich mindestens acht Stunden bete und sein Wasser gegen Westen abschlage, wahren Glaubens sei. Zwischen diesen beiden Glaubensrichtungen entstanden bald grosse Rivalität und Bruderzwiste mit Sabotageakten. So wurde in den Stadtarchiven beim Wort „Pletismus” mit Absicht das „l” beschädigt, worauf aus dem ehrenwerten Pletismus in der Geschichtsschreibung der „Pietismus” wurde. Dies rückte die ganze Bewegung in ein falsches Licht und landauf und landab machte man sich lustig über die „Markscheider Pietisten” die nicht einmal ein einfaches „l” richtig schreiben können. Dennoch gewannen die Anhänger Pletins die Mehrheit, weil Bruder Kretin sich im Fickwalder Forst verlaufen hatte und den Weg zurück nicht mehr fand. Möglicherweise hat er sein nahes Ende gespürt und hat sich zum Sterben dorthin zurückgezogen, weil mörderische Blähungen nach einem Mittagsmahl in einer örtlichen Gaststube aufgetreten sind. Die Legende sagt, dass er irgendwo im Wald explodiert ist und seine Reste dann gen Himmel aufgestiegen seien, oder umgekehrt: dass er wegen der Gase anfing, emporzusteigen und dann – schon fast angekommen – explodierte.
Deshalb findet man in den modernen Geschichtsbüchern der Kirche mehr über den „Pietismus” als über den Kretinismus. Es scheint aber, dass heutzutags wieder die einfacheren Lehren und Glaubensrichtungen – Fastfood für Spirituelle – mehr Anklang finden, also kann noch nicht abschliessend darüber geurteilt werden, ob der Kretinismus oder der Pietismus letztlich die Mehrheit der Gläubigen überzeugen wird.