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Der Markscheider Krawattensturm

Veröffentlicht von Ambros Braesius am

Der Hals, die bewegliche Verbindung zwischen der menschlichen Schaltzentrale, genannt „Kopf“ und dem motorischen Rest, genannt „Rumpf“, war schon in allen Zeitaltern und Kulturen eine beliebte Lokalisation, um den Grad der Freiheit, den ein Individuum besitzt, anzuzeigen. Bei absolutem Einschränken der Freiheit wird diese Verbindung gerne schon mal nachhaltig zugeschnürt oder gar gekappt, was dann zu definitivem Abbruch der Beziehungen zwischen Kopf und Rumpf führt. Soweit die Tatsachen.

Wenn Caesar wieder einmal einen Stamm unterworfen hatte, schickte er die Besiegten zum Zeichen der Unterwerfung und Demütigung unter einem Joch durch. Dann wurden den Unterjochten Halsbänder angelegt und so wusste dann jeder, wer ein Sklave war und wer nicht. Im Laufe der Zeit nahm dieses Halsband vielfältige Formen an: Bei Frauen diente es neben der Funktion als Zeichen der Unterwerfung und Demut auch der weiblichen Zierde. Je kostbarer ein derartiges Halsband war, um so leichter konnten die Damen der Gesellschaft über den wahren Zweck dieses Schmucks hinweg sehen.

Nach dem Zeitalter der Aristokratie und nach der Industrialisierung, die zur Trennung zwischen der arbeitenden und der verwaltenden Bevölkerung führte, mussten die Bürokraten gekennzeichnet werden.

Also wurde die Krawatte entwickelt. Ein ziemlich komplizierter Knoten diente gleichzeitig als Eignungstest: nur wer diesen Knoten schaffte, zeigte, dass er würdig war, auf die werktätige Bevölkerung herab zu sehen. Gerade dort, wo Seriosität vorgetäuscht werden musste, wie bei Bankern, Politikern und Angestellten der öffentlichen Dienste wurde besonderen Wert auf das Erscheinungsbild gelegt. Die Weigerung, sich dieses Zeichen der Unterwerfung um den Hals zu binden, führte bei vielen Idealisten zu einem raschen Ende der Berufskarriere. Die Übrigen versuchten, das Beste daraus zu machen: War die Krawatte lang genug, diente sie als Tropfenfänger, kürzere Exemplare konnten immerhin noch als Servietten aushelfen. Auch hier, wie es der menschlichen Natur entspricht, entwickelte sich bald ein Konkurrenzdenken: „Wer hat die Längste?“ bzw. „meine ist länger als deine…“

Und so kam es, dass sich bei vielen morgens noch schläfrigen Krawattenträgern beim Schnüren der Schuhe die herabhängende Krawatte mit den Schnürsenkeln verknotete, was den Krawattenträger für den Rest des Tages zu einem servilen, gebückten, eher unbeholfenen Gang zwang.

Dies führte dann häufig zu Unfällen und Verletzungen, weil Markscheids Strassen doch recht holperig sind und immer wieder mal Mauerbrocken, Ziegel und -wie wir wissen, seit der Zeit des Impertinenz des XV.- auch Würdenträger vom Himmel bzw. von den Gebäuden zu fallen pflegen. Also bemerkten diese bedauernswerten Gebückten, Knotengebeugten alles von oben Herabfallende nicht, was schlimme Konsequenzen hatte.

Während anderswo dieser Vorgang des Krawattismus mit Gleichmut und bald als alltägliche Unbill hingenommen wurde, begann sich in Markscheid gegen diese Entwicklung Widerstand zu regen.

Gerade im Hochsommer bringt die traditionell getragene Krawatte wenig bis gar nichts

Die Markscheider, schon immer praktisch und rebellisch veranlagt, begannen sich zu fragen, ob es notwendig sei, dass Krawattenträger (Immerhin 35%der männlichen Bevölkerung) wegen oberflächlichen Äusserlichkeiten krank werden mussten. Dr.Mark Scheider wurde in dieser Zeit zu einer echten Konifere für krawatteninduzierte Krankheiten. Er entdeckte die krawattös bedingten Krampfadern des Halses und des Kopfes (Varicosis capitis), die hervorstehenden Augäpfel (Exophtalmia cravatosa,) und die typische bläuliche Verfärbung des Gesichts ( Bluish puffed face syndrome), ebenfalls eine Spätfolge zu eng geschnürter Krawattenknoten. Heilverfahren gegen diese schrecklichen Krankheiten fand er leider keine.

Es waren dann die Markscheider Ehefrauen der bedauernswerten Krawattenträger, die den Funken zündeten: Seit ihre Männer durch das Tragen der Krawatten und die staubedingte Blutfülle des Kopfes nicht mehr genug Blut in anderen, fast noch wichtigeren Körperregionen zur Verfügung hatten, nahmen häusliche Streitereien, Gereiztheit und ein allgemeines Gefühl von Unzufriedenheit überhand. Am 23.3.1998 rotteten sich die Markscheider Frauen zusammen, bewaffneten sich mit Scheren und Kneifzangen und schnitten oder kniffen jedem, dem sie begegneten, die Krawatte ab. Dass gelegentlich noch anderes abgeschnitten und abgekniffen wurde, z.B. allzu prominente Brustbehaarung, hie und und da auch ein Bart, war ein bedauerlicher Nebeneffekt und eine Entgleisung einer militanten Randgruppe von wütenden Weibern, angeführt von der berühmten Vordenkerin weiblicher Angelegenheiten, Alice Weisser. Diese Frau Weisser – eine zugewanderte Konfliktspezialistin- versuchte sogar, ihre Helferinnen dazu anzustiften, sich der Gemächte der Männer zu bemächtigen, was dann aber den meisten doch zu weit ging. Immerhin wären sie durch das Abschneiden derselben künftiger Freuden verlustig gegangen. So endete der Markscheider Krawattensturm doch noch fast ohne Todesopfer. Die Frage, warum man in Markscheid keine Menschen mit Krawatten sehen kann, ist somit hoffentlich für lange Zeit geklärt. Und nur die Touristen, die lebend durch den Fickwalder Forst nach Markscheid hinein gelangt sind, fragen heute noch, was die Schilder, die Markscheid  zur Krawattenverbotszone machen, zu bedeuten haben.

Kategorien: Bildungswesen