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Das Rätsel der rasenden Toten

Veröffentlicht von Ambros Braesius am

Knöllenbecks 19. Fall:

Wieder einmal war Knöllenbeck, Held und Kriminalkommissar, damit beschäftigt, die Spesenabrechnungen zu optimieren, als die frisch gebackene Assistentin Jacqueline Freudenreich mit einem Ruck die Tür öffnete, hereinstürmte und rief: „Chef, ein Notfall!“ „Wie wäre es mit Anklopfen?“ entgegnete Knöllenbeck, der es gar nicht schätzte, wenn man ihn bei existenzsichernden Beschäftigungen störte. „Die Verkehrspolizei braucht unsere Hilfe, sofort!“ Sie atmete aufgeregt, ihre Augen glänzten und mit den geröteten Wangen sah sie aus wie kurz vor einem Höhepunkt geschlechtlicher Art.

Also musste Knöllenbeck wohl oder übel hinter dem Schreibtisch hervorkommen und sich zusammen mit seiner Assistentin an den Tatort begeben. Das Bild, das sich den Kriminalisten bot, war wie immer bei Tatorten nicht angenehm anzuschauen.

Ein PKW war auf der Landstrasse ausserhalb Markscheids, aber, wie der Kommissar sofort mit geübtem Blick feststellte, innerhalb Knöllenbecks Zuständigkeitsbereich in einer Kurve geradeaus gefahren und gegen einen Alleebaum gekracht. Mit hoher Geschwindigkeit.

Das Seltsame daran war, dass neben dem Fahrer, der das allzu abrupte Bremsmanöver nicht überlebt hatte, drei ebenfalls tote Beifahrer im Autowrack lagen. Eigenartig und die Bergung verkomplizierend war, dass die Feuerwehrleute die drei nicht aus dem Auto bergen konnten, weil sie teilweise zerbrochen, zersplittert, steif und hart wie Beton waren. Aber nicht leichenstarr, sondern kältestarr. Tiefgefroren sogar. 

Knöllenbeck war verwundert. „Was halten Sie davon, Fräulein Freudenreich?“ Die Assistentin drehte sich elegant einmal um ihre Achse, um einen Rundumeindruck zu gewinnen, überlegte kurz und sagte: 

„Keine Bremsspuren, Tangentialbewegung aus der Kurve, Impressionen an Baum und Auto, bei einem geschätzten Gewicht, Auto inklusive vier Insassen, von 2,1 Tonnen, eine Negativbeschleunigung von ca. −780m/s2, oder  128,4 g. Scheisse nochmal! So etwas hält ein menschlicher Körper nicht aus, ob gefroren oder nicht.“

Knöllenbeck war beeindruckt. Endlich mal eine Hilfskraft, die konkrete Zahlen liefern konnte! Im Übrigen teilte er die Einschätzung der Assistentin, dass die beim Aufprall entstandenen Kräfte mit dem Weiterfunktionieren eines menschlichen Körpers nicht vereinbar sind. 

Dieses typähnliche Bild beschreibt nur entfernt das Grauen, das sich unseren Kriminalisten am Tatort bot

„Warten wir mal ab, was der Gerichtsmediziner meint und gehen bis dahin einen Kaffee trinken.“ 

Als sie nach einer Stunde wieder vor Ort waren, hatten die Feuerwehrleute das Wrack soweit zerlegt, dass alle vier Körper geborgen werden konnten. Knöllenbeck verfügte, die drei gefrorenen Leichen im tiefgefrorenen Zustand zu belassen, was im Tiefkühlraum der örtlichen Metzgerei möglich gemacht wurde, indem drei Stühle hineingestellt wurden. Die Leiche des Fahrers hingegen wurde in die Gerichtsmedizin verbracht, wo weitere Untersuchungen vorgenommen werden sollten. Eine erste oberflächliche Inspektion ergab, dass zwei der Leichen weiblichen Geschlechts waren und eine männlich war. Alle waren, als sie eingefroren worden waren, in vorgerücktem Alter zwischen 70 und 90 Jahren alt gewesen.

Dr. Scheider untersuchte nun den Toten und dann, im Zeitraum von vier Wochen auch die tiefgefrorenen Körper, die er einen um den andern auftaute, obduzierte und gewissenhaft alles notierte. Sein Abschlussbericht sagte, dass alle drei Gefrorenen eines natürlichen Todes gestorben waren und ausser den Spuren des Autounfalls keine äusseren Verletzungen zeigten. Die DNA-Untersuchungen ergaben des Weiteren, dass es sich bei einer weiblichen Leiche um die Grossmutter des Fahrers gehandelt hatte, die beiden anderen waren seine Eltern. Der Fahrer hingegen hatte einen Alkoholpegel von 2,5 Promille gehabt.

Knöllenbeck schloss daraus, dass der Fahrer nicht verkehrstauglich gewesen war und ihm wahrscheinlich die Kurve und der Baum nicht weiter aufgefallen waren, als er seinen Wagen geradeaus gelenkt hatte. 

Da nun ein Verbrechen ausgeschlossen werden konnte, schloss Knöllenbeck die Akte mit dem Vermerk: „Unglücklich verlaufener Familienausflug mit tödlichem Ausgang“. Frau Petra Fitzig, die Sekretärin und Spezialistin für verbrannte Arabica-Mischungen stellte abschliessend mit Tränen in den Augen fest, dass der verunglückte Autofahrer eben seine Familie um sich hatte haben wollen und sie deshalb in gefrorenem Zustand aufbewahrt hatte und halt eben von Zeit zu Zeit auf eine kleine Ausfahrt mitgenommen hatte.