
Ein Feiertag, so spannend wie der Bundeshaushalt
Liebe Leserinnen und Leser,
es ist wieder soweit! Der 3. Oktober ist da, dieser eine Tag, an dem Deutschland kollektiv innehalten muss, um sich zu fragen: „Warum eigentlich?“
Der Tag der deutschen Einheit, ein Feiertag, der in seiner emotionalen Tiefe ungefähr auf dem Niveau eines Betriebsausflugs ins Industriegebiet liegt. Ja, wir feiern, dass wir wieder ein Land sind, was an sich eine prima Sache ist. Man stelle sich vor, man müsste an der ehemaligen innerdeutschen Grenze jedes Mal einen Reisepass vorzeigen! Der Stau auf der A2 würde bis nach Krakau reichen!
Aber mal ehrlich: Wie feiern wir diesen historischen Triumph? Mit einer feierlichen Zeremonie, die sich in ihrer Anmutung mühelos mit einer zweistündigen Lesung aus dem Koalitionsvertrag messen kann. Man hört Reden, die so generisch sind, dass man sie auch über die Wiedervereinigung von zwei Supermarktketten halten könnte. Der Tenor ist immer derselbe: „Wir haben viel geschafft, aber es gibt noch viel zu tun … hauptsächlich bei der Bahn.“

Kein schöner Land …
Der eigentliche Witz an der Einheit ist, dass wir seither verbissen versuchen, die Unterschiede zu finden, die wir eigentlich überwunden haben. Das ist ein bisschen wie in einer Ehe, bei der man jeden Jahrestag damit verbringt, sich darüber zu streiten, wer damals wirklich den Fernseher mitgebracht hat.
Der Ossi: Er denkt: „Endlich freie Fahrt. Außer, wenn der ICE mal wieder Verspätung hat.“ Er isst Spreewaldgurken und wundert sich, warum im Westen alle so unentspannt sind.
Der Wessi: Er denkt: „Super, jetzt müssen wir nur noch 30 Jahre den Soli zahlen.“ Er isst Lachs-Avocado-Brot und wundert sich, warum im Osten alle so direkt sind.
Das einzig wirklich Einigende ist die gemeinsame Liebe zum Meckern. Ob im Osten oder Westen, die Deutschen sind sich in der Kritik am Zustand Deutschlands stets treu. Das ist unsere wahre Kulturleistung!
Wie sieht so ein Einheitsfest aus? Nun, man versammelt sich in der jeweiligen Ausrichterstadt (die man sonst nur von Verkehrsschildern kennt). Es gibt:
Stände: Man kann sich über die Arbeit des Bundesrechnungshofs informieren und einen kostenlosen Kugelschreiber mit der Aufschrift „Mehr Demokratie wagen, weniger Bürokratie wollen“ abstauben.
Kulinarik: Eine kulinarische Reise durch die Republik, die von der Thüringer Rostbratwurst bis zur Currywurst Berliner Art reicht. Ein echtes „Wir-sind-ein-Land-Erlebnis“ für den Magen.
Musik: Eine Blaskapelle spielt eine etwas zu lange Version der Nationalhymne, gefolgt von einer Band, die „99 Luftballons“ covert. Es ist so vorhersehbar, dass es schon wieder beruhigend wirkt.

Echt schön hier …
Die Hauptattraktion ist jedoch stets das offizielle Pressefoto, auf dem sämtliche Ministerpräsidenten und der Bundespräsident so tun, als würden sie sich über nichts auf der Welt lieber unterhalten als über die Reform der Länderfinanzausgleichs.
Der Tag der deutschen Einheit ist letztlich ein Triumph der Bürokratie über die Emotion. Es ist der Feiertag, der uns daran erinnert, dass wir nicht nur ein Land, sondern auch ein Verwaltungsakt sind.
Also, lehnen Sie sich zurück. Essen Sie ein Brötchen (im Osten: Schrippe, im Süden: Semmel), bezahlen Sie den Soli, und freuen Sie sich, dass der Zug pünktlich hätte kommen sollen. Denn das ist die deutsche Einheit: Ein kompliziertes, manchmal nerviges, aber im Großen und Ganzen funktionales Konstrukt.
Einheit ist, wenn alle auf den gleichen Bahnsteig starren.