Gunnar und das Gewissen
Gunnar lachte. Der Termin bei Schuldirektor Waldemar Salomon war verlaufen wie immer. Erst hatte dieser böse geguckt und geschimpft, dass das schon der vierte Termin mit gleichem Anlaß in diesem Schuljahr war und er auch noch andere Dinge zu tun hätte. Aber der Elternrat hätte sich beschwert, dass er, Gunnar, der über die Grenzen der Schule berüchtigte Rowdy, einmal mehr offensichtlich grundlos auf dem Schulhof einen Schüler zwei Klassen unter ihm verprügelt hätte. Das könne so nicht weitergehen und müsse langsam ernsthaft sanktioniert werden, da die Grenzen der Toleranz schon seit langem überschritten seien.
Waldemar Salomon seufzte und erklärte der erbosten Elternschaft, dass er als leitender Pädagoge nicht nur das einzelne Momentum, sondern die gesamte Schülerschaft, den Lehrkörper und die Schule im Allgemeinen über einen längeren Zeitraum betrachten müsse und das alles im übrigen nicht so einfach wäre, wie die in dieser Hinsicht unerfahrenen Eltern dächten.
Außerdem ist Grundvoraussetzung für eine Bestrafung das Verstehen der Ursachen, da man sonst niemals Gerechtigkeit in irgendeiner Form herstellen könne. Auch wisse man letztendlich nicht exakt, ob der jüngere Schüler Gunnar nicht bereits vor vielen Jahren geärgert habe und den Konflikt demnach selbst zu verantworten habe.
Natürlich wirke es oberflächlich so, als ob Gunnar Schuld sei, aber seiner Erfahrung nach ist es oft falsch, schnelle Vorverurteilungen zu treffen, nur weil es so scheint und eine große Mehrheit der Eltern eine Bestrafung fordern. Aber gerade dies ist ein heikler Punkt, da Eltern dazu neigen, sich gegenseitig aufzuwiegeln, ohne selbstständig über den Sachverhalt nachzudenken und eventuelle Gegenpositionen zu berücksichtigen.
Kurzum, Gunnar wurde vom Schuldirektor erneut ins Gewissen geredet, solche Streitigkeiten zukünftig zu unterlassen, auch wenn er sich provoziert fühle.