Markscheider Demenz
Langsam sickerte die Nachricht durch die örtlichen Gazetten: Markscheid wurde zum Brennpunkt der Neurowissenschaften! Über die Auswahlkriterien wurde Stillschweigen vereinbart. Doch so viel wurde der überörtlichen Presse durch das Institut für Neurotische Wissenschaften der Flachhochschule Bielefeld (INWFB) mitgeteilt, dass dabei die Trostlosigkeit des Ortes und der umgebenden Landschaft, gemischt mit der Abstrusität der Bewohner eine neurotische Melange sondergleichen bewirkt, die nicht einmal in Wien oder Paderborn erreicht wird.
Wir haben Ergebnisse der geheimen Tests, die in unserer berühmten Gemeinde durchgeführt wurden und in bahnbrechenden neuen Theorien mündeten, einsehen können. Alles dürfen wir hier bei MamM nicht veröffentlichen, denn es würde die Markscheider verstören.
Professor Dr. Manfred Sharpener, international führender Experte auf dem Gebiet, zeigt sich nicht sehr überrascht. Wahrscheinlich hatte er so etwas erwartet. Auf Anfrage der MamM antwortete er in seinem nicht vorhandenen Dialekt: „Joh mei. Der Aufenthalt hier in Markscheid prägt eben die Menschen. Träge schleichen sie durch die Straßen, wenn sie nicht gerade fressen. Dagegen sind die Schäden, welche durch elektronische Geräte ausgelöst werden, Peanuts. Auch der leicht dümmliche Gesichtsausdruck, der geschlechtsübergreifend anzutreffen ist, konnte in vielen Fällen dokumentiert und sogar physiologisch nachgewiesen werden. Erkennbar ist mimische Ausprägung am meist geöffneten Mund und einem dümmlichen Grinsen, das von weitem freundlich scheint, aber bei genauerer Betrachtung nichts zu bedeuten hat.“
Interessanterweise zeigten sich auch Schädigungen, die auf die Struktur des Gehirns Auswirkungen hatten. Im Folgenden zeigen wir Beispiele, die weder repräsentativ noch vorzeigbar sind.
Das Belohnungszentrum ist bei Politikern verändert, es ähnelt einem Koffer und ist schwarz gefärbt. Dadurch, dass es sehr stark ausgeprägt ist, übernimmt es häufig das Kommando.
Es reagiert sehr stark auf monetäre Reize, die alle anderen Formen von Gier überlagern. Dieser neugeformte Teil, Lobus Schäuble soll durch einen gewissen Gendefekt ausgelöst worden sein, der sich allerdings in gewissen Bevölkerungsschichten durchgesetzt hat und dabei dominant ist.
Das Fresszentrum (Nucleus manducaris) hat bei vielen Anwohnern, im Gegensatz zu den Besuchern, eine typische Pizzaform, die mit unterschiedlichen anderen Formen belegt zu sein scheint. Diese zeigten erstaunliche Analogien zu den Pizzen einer einheimischen Pizzeria. Gleich daneben entdeckten die Neuroanatomen einen bisher unbekannten basalen Hirnkern, der offenbar das Trinkverhalten steuert. Sie nannten ihn Nucleus cervisius. Vermutlich wird der Entdecker Prof. Sharpener dafür den Nobelpreis für Medizin erhalten. Eigentlich war es ja seine Sekretärin, die den Hirnkern entdeckt hat, aber wie das heute in der Medizin so üblich ist, bekommt dafür der Chef die Auszeichnung.
Das bei normalen Menschen ausgeprägte Zentrum, in dem Kreativität entsteht, hat sich bei einigen Exemplaren zum neu entdeckten Lobus buereaucratis weiter entwickelt. Er scheint verantwortlich zu sein für völliges Desinteresse an Ordnung und funktioniert völlig schematisch mit absolut symmetrischen degenerierten Nervenzellen. Dies bedeutet im täglichen Leben, dass alle Verrichtungen nur mit Hilfe eines Regelwerks z.B. in Form eines Spickzettels oder einer Dienstanweisung zu schaffen sind. Abweichendes Verhalten von diesen Leitschienen des Handelns führen zu schlagartiger Müdigkeit, Aggressivität und körperlicher Schwäche bis hin zu einem Delirium. Die Anordnung dieser symmetrischen Degeneration ist so komplex und widersprüchlich, dass es keine zwei gleichen Hirnscans geben kann. Bei einer ersten Testreihe der Erforschung des Lobus buereaucratis wurden Mathematiker von der Unlogik und unsinnigen Komplexität dieses Gehirnteils überrascht. Es scheint, dass Hopfengetränke hier eine leichte, leider nur vorübergehende positive Wirkung entfalten. Dass so etwas in unserem Universum existieren kann, ist ein physikalisches und physiologisches Wunder.
Alles in allem zeigt der Homo Markscheidensis typische Anpassungen an seine Umwelt. Interessant ist dabei, wie schnell diese passiert ist. Normalerweise benötigen solche Vorgänge Jahrmillionen, doch diese absurde Umgebung stimuliert die Evolution. Andererseits wäre doch sonst die Markscheider Landschaft ausgestorben.