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Überraschende Begegnungen mit dem Jenseits

Veröffentlicht von Anonymus I. am

Der moderne Normalbürger macht in der heutigen Welt ja kaum noch Erfahrungen mit dem Sterben (also höchstens ein einziges Mal) und besonders Begegnungen mit Leichen sind für ihn äußerst rar geworden. Auch dem Verfasser dieser Zeilen war es bisher gelungen, solche Erlebnisse, bis auf gelegentliche Einladungen zum Verbuddeln der Urne eines Verwandten, tunlichst zu vermeiden. Anlässlich eines unverhofften Aufenthalts im Krankenhaus zur Zeit der Corona-Epidemie sollte sich das aber auf seltsame Weise ändern.

Da lag er nun im Mittelbett eines Dreibettzimmers zwischen einem jüngeren Patienten voller Drainageschläuche auf der einen Seite und einem schon recht betagten Mitkranken auf der Anderen. In der Nacht hatte dieser der Nachtschwester noch über nicht näher definierbare allgemeine Schmerzen geklagt und ob dieser unscharfen Selbstdiagnose das in solchen Fällen übliche Placebo erhalten.

Am Morgen erfolgte der gewohnte Besuch unseres fröhlichen Studenten, der zur Unterstützung der überlasteten Belegschaft als freiwilliger Praktikant Routineaufgaben wie das morgendliche Blutdruckmessen übernahm. Er begann bei dem älteren Herrn und spätestens, als er das Zimmer erblassend im Laufschritt verließ, dämmerte uns, daß unser stiller Mitpatient vermutlich nur noch über Blutdruckwerte von höchstens 0 zu 0 verfügte. Dieser Verdacht wurde dann durch einen eilig eintreffenden Medikus den ihn begleitenden Schwestern wortlos bestätigt, woraufhin sie, noch immer schweigend, ein Laken über dem Bett ausbreiteten und es samt dem Verblichenen aus dem Zimmer rollten. Nur einen knappen Meter neben mir hatte er unbemerkt sein Leben ausgehaucht. Das also war die erste Begegnung dieses Kommentators mit dem Tod. Man könnte nun denken, uns allein zurück Gebliebene wären darob geschockt gewesen, allein, wir betrachteten die neue Situation mit einem gewissen Fatalismus, immerhin war ja nun ein zusätzliches Frühstück übrig (das wir dann aber, nur um es mal zu erwähnen, nicht bekamen).

Nicht nur im Krankenhaus können die sonderbarsten Dinge geschehen

Hier könnte die Geschichte eigentlich zu Ende sein, aber wir sind hier ja in Markscheid und da enden Geschichten selten einfach so. Es begab sich also, daß der Verfasser einige Zeit danach einem morgendlichen Ruf der Natur Folge leisten musste und deshalb eilig den seinem Krankenzimmer gegenüberliegenden Duschraum aufsuchte, welcher zusätzlich über bequeme sanitäre Einrichtungen verfügte. Als er da so saß und zufrieden den Dingen ihren Lauf ließ, bemerkte er, nicht ohne Erstaunen, daß sich in dem recht geräumigen Gemach nun auch ein Bett befand, welches dort eigentlich nicht sein sollte. Die gegenwärtige Perspektive gestattete den Blick auf ein Paar bleicher Füße, die unter einem weißen Laken hervorschauten und, der geneigte Leser wird es schon vermuten, nur einen Schluss zuließen: Der kalte Kollege war mein verblichener Bettnachbar. Nun ja, die Toten kümmern die Geschäfte der Lebendigen zwar nicht mehr, trotzdem erschien es nicht angebracht, die begonnene Sitzung fortzusetzen. Also Hose wieder hoch, Spülung gedrückt, die Tür geöffnet – und ich stand vor dem verdutzten Praktikanten, in dessen Schlepptau sich eine kleine Gruppe traurig dreinblickender Angehöriger befand. Eine unausgesprochene Frage stand quasi fühlbar im Raum: Hat dieser langhaarige Bombenleger etwa neben unserem toten Opa einen abgeseilt?

Das Leben, liebe Leser, bereitet einen nicht auf solche Situationen vor, mit einer Trauergemeinde vor sich und einer wie die Niagarafälle brüllenden Wasserspülung im Rücken, was sagt man denn da? Die nun folgende beiderseitige Schrecksekunde dehnte sich, begleitet vom Donner der Wasserspiele, gefühlt wie eine Ewigkeit, bis ich sie gekonnt mit einem freundlichen „MOIN!“ beendete und mich im Sprint über den Flur im Krankenzimmer in Sicherheit brachte. Über Opas Abschied von seinen Hinterbliebenen habe ich keine weiteren Erkenntnisse, der Vorfall wurde vom Praktikanten nie wieder erwähnt. Nur mein Zimmergenosse dürfte sich darüber gewundert haben, warum ich den ganzen Tag über immer wieder scheinbar grundlos irre kichern musste.

Und nur die verehrten MamM-Abonnenten, die ich um Diskretion bitte, kennen nun die Hintergründe dieser wahren Geschichte.