Die junge Frau drehte das Wasser in der Dusche ganz auf. Genüsslich hielt sie den Kopf unter den angenehm warmen Strahl. Eine dunkle Gestalt betrat das Badezimmer. Die junge Frau ahnte nichts. Sie fuhr sich mit den Händen über das Gesicht, genoß den Augenblick. Die Gestalt kam näher. Das Wasser lief am Duschvorhang nach unten, verschwand im Abfluss. Die Gestalt hob das lange Messer, dass sie in der Hand hielt. Dann riss sie den Duschvorhang zur Seite. Die junge Frau schrie entsetzt. Die Tür zum Badezimmer flog auf und Kriminalkommissar Knöllenbeck stürmte herein. Er sah das Messer, erkannte die Situation im Bruchteil einer Sekunde. „Halt, Bates!!“, brüllte Knöllenbeck und rannte zur Dusche.
Fast hätte Knöllenbeck die dunkle Gestalt auch erreicht. Doch er verfing sich im Kabel der Scheinwerfer, stolperte unglücklich und stürzte der Länge nach zu Boden. Um ein Haar hätte er die Kamera des Filmteams auch noch mitgerissen.
Die Idee zu einem Werbefilm für die Polizei Markscheid stammte von Kriminalrat Möller. Bürgermeisterin Crohn-Corque hatte zunächst gezögert, als er ihr die horrenden Kosten der geplanten professionellen Filmproduktion offenbarte, doch eine kleine Anspielung auf das bevorstehende Wahljahr und das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung, und Möller hatte grünes Licht, eine Produktionsfirma mit den Dreharbeiten zu beauftragen. Jetzt sass er zurückgelehnt auf einem Klappstuhl neben dem Regisseur, blies den blauen Dunst einer Zigarre in die Luft und imitierte beim Sprechen das leichte Lispeln von Alfred Hitchcock. Einzig Knöllenbeck konnte all dem nichts abgewinnen. Eigentlich sollten nur Schauspieler im Film mitwirken, doch sein Amtsleiter hatte darauf bestanden, dass auch ein echter Kriminalbeamter zu sehen sein müsse. Die Wahl war auf Knöllenbeck gefallen.
Kann durchaus bedrohlich sein: Dusche
Zwei Tage später. Kriminalrat Möller sass nach dem Essen mit der Filmcrew nachdenklich im Klappstuhl. Im Studio lieferte sich Knöllenbeck eine wilde Schießerei mit Al Capone, aber Möller war in Gedanken mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Er überlegte, wie er das süsse blonde Script-Girl am besten aufreissen könnte.
Kennen Sie schon Hitchcocks ‚Sie vögeln‘? Nein, viel zu vulgär.
Kennen Sie schon Hitch’s Cock? Auch keinen Deut besser.
Kennen Sie schon meinen unsichtbaren Dritten? Noch lange nicht perfekt.
Vor ihm hob Al Capone gerade die Hände und Handschellen klickten, doch in Möllers Kopf lief ein völlig anderer Film. Er stellte sich vor, wie er das süsse blonde Script-Girl nach Drehschluss heimfahren würde. Bei Ihr angekommen, würde er formvollendet die Autotüre aufhalten und sie mit einem verschmitzten Lächeln fragen: Soll ich die 39 Stufen mitkommen, oder später fensterln zum Hof? Ja, so würde er es machen. Möller lehnte sich entspannt zurück.
Der Rest der Dreharbeiten verlief ereignislos. Dann kam der große Tag. Für die Premiere hatte man den großen Saal der Odeon-Lichtspiele am Bumshagener Platz angemietet. Trotz des Lockdowns war es zum Bersten voll. Wer keinen Sitzplatz reserviert hatte, sass auf dem Boden oder stand in den Notausgängen. Das Licht wurde dunkler. Langsam schob sich der schwere Samtvorhang auseinander und im Saal wurde es still. Das Licht erlosch. Der Film begann. Man sah das Innere eines gigantischen Raumschiffs. Die Besatzung sass beim Abendessen. In der Mitte Knöllenbeck. „Ein Glück, dass dieses Ding tot ist“, sagte Knöllenbeck und nahm sich Nudeln aus einer Schüssel. „Unter Face-Sitting stelle ich mir schon was angenehmeres vor“, scherzte eine schwarzgelockte Frau namens Ripley und gab ihrer Katze ein Stück Käse. Alle lachten. Im nächsten Augenblick fasste sich Knöllenbeck an die Brust. Er musste heftig husten. Dann begann er wild zu zucken, das Gesicht schmerzverzerrt. Er wollte aufstehen, taumelte, brach zusammen. Auf seinem weissen Hemd bildeten sich rote Flecken. Der ganze Körper begann unkontrolliert zu zucken. Plötzlich spritzte Blut. Knöllenbecks Hemd wurde von innen zerrissen und ein abgrundtief hässliches Wesen hob seinen schwarzen Kopf aus Knöllenbecks Bauch. Alle waren starr vor Schreck. Das kleine Alien schaute in die angstgeweiteten Augen und zeigte seine messerscharfen Zähne. Dann begann es mit einer metallisch-klingenden Stimme zu sprechen:
Ob im Weltall oder einem anderen Ort
Wir ermitteln bei jedem Mord
Geschah die Tat aus Habgier oder Neid
Den Täter fasst die Kripo Markscheid
Tosender Applaus im Kino. Beate Crohn-Corque sprang auf, rief laut „Bravo! Bravooo!!“ Kriminalrat Möller grinste zufrieden. Dann wandte er sich an das süsse blonde Skript-Girl auf dem Nachbarsitz: „Haben Sie Hunger? Was halten Sie über den Dächern von Pizza?“
Willkommen zu einer weiteren Folge von 1000 Meisterwerke, in der wir heute ein zeitgenössisches Werk von beispielloser Zurückhaltung, ja fast schon provokanter Schlichtheit analysieren werden: die spärlich belegte Pizza aus der berühmten Pizzeria El Blindo Weiterlesen…
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