Mietklingen
Der fleckige Rigobert fluchte nun merklich lauter als noch am Vortag. So würden sie die Stadt ja nie erreichen! Sein Begleiter Waldo lag jetzt schon wieder ein ganzes Stück hinter ihm, humpelte stark und stützte sich bei jedem Schritt auf seinen schweren Kriegshammer, den er als Krücke benutzte. Als sei es nicht schon deprimierend genug, tagelang bei leichtem Schneetreiben auf der glitschigen, moosbewachsenen Kiesstraße durch die dunklen, feuchten Wälder vor der Stadt zu ziehen, machte nun auch noch sein Weggefährte zunehmend schlapp. Doch gerade, als Rigobert lospoltern wollte, Waldo möge sich doch endlich zusammenreißen und schneller marschieren, sah er vor sich die marode Stadtmauer von Markscheid aufragen.
Gegenüber der bewaffneten, merklich gelangweilten Gruppe vor dem Stadttor trat Rigobert wie üblich als Sprecher auf: „Gott zum Gruße, ihr Herren! Ich bin der fleckige Rigobert und mein Begleiter ist Waldo aus dem Ermerland, den man auch den Vernichter nennt. Wir haben von eurer schönen Stadt gehört und wollen uns eurem Herrn als Mietklingen andienen. In vielen Schlachten kämpften wir, ungezählte Abenteuer haben wir erlebt und nun brennen wir darauf, uns jetzt hier bei euch nützlich zu machen.“ Bei diesen Worten stützte er sich auf sein großes, leicht gekrümmtes Schwert und ließ eine lückenhafte Reihe seiner gelben Zähne aufblitzen.
Die Männer beäugten Rigobert (der in seinem verschlissenen Mantel und dem speckigen, abgenutzten Ziegenleder-Wams nicht unbedingt den besten Eindruck machte) ebenso eingehend wie skeptisch, dann meldete sich der Älteste aus der Gruppe zu Wort: „Wir sind die Stadtwache, wie ihr sicher schon bemerkt habt und könnten durchaus vorübergehend Verstärkung brauchen. Einer von uns ist gerade erst letzte Woche in die Rente abgedampft und mein Stellvertreter möchte ein Jahr in Elternzeit gehen. Da kämen uns zwei Söldner als Ersatz durchaus gelegen. Ihr hättet es hier auch recht gut getroffen. Für die Männer und Frauen der Stadtwache gibt es in der ‚Alten Schänke‘ einen Rabatt und ihr hättet täglich die Auswahl zwischen zwei veganen Hauptmahlzeiten. Außerdem braut der Wirt ein sehr leckeres alkoholfreies Bier. Mein Name ist übrigens Benedikt von Crohn.“
Waldo der Vernichter verzog kurz merklich angewidert das Gesicht und fragte dann voller Empörung: „Männer und Frauen? Ihr habt hier tatsächlich Weiber in der Stadtwache?!“
„Natürlich,“ erwiderte von Crohn und fügte dann rasch hinzu: „Wir haben hier derzeit eine Frauenquote von 30 Prozent, arbeiten aber noch an einer Verbesserung. Ihr seid Waldo, nicht? Habt ihr beide denn auch ordentliche Bewerbungsunterlagen mit handgeschriebenem Lebenslauf dabei? Habt ihr an eure Lohnsteuerkarten gedacht? Und ist jemand von Euch behindert und falls ja, zu welchem Grade? Habt ihr auch regelmäßig und ordentlich in die Pflegeversicherung eingezahlt?“ Und während die beiden zerlumpten Söldner ihn mit befremdetem Blick ansahen, machte sich Benedikt von Crohn im Geiste schon mal seine Notizen: Analphabeten, mutmaßlich legasthenisch, geistig zurückgeblieben.
Der fleckige Rigobert trat nun merklich erzürnt einen Schritt nach vorne und sprach mit deutlich erhobener Stimme: „Mein Kumpan Waldo und ich haben in der Schlacht von Ullreuth gekämpft und waren bei den ersten Kriegern, die die vermaledeite Brücke dort besetzt und auch gegen die feindliche Übermacht gehalten haben. Im Kampf habe ich einen Teil meines linken Fußes eingebüßt und …“
„Aha,“ meinte jetzt von Crohn, „das klingt nach einer durchaus nennenswerten Schwerbehinderung, was ein Beschäftigungsverhältnis für den Arbeitgeber natürlich auch steuerlich interessant machen würde. Sagt an, ihr Herren, habt ihr denn auch eure Impfbücher dabei?“
Der fleckige Rigobert machte auf dem Rückweg von Markscheid aus seinem Herzen keine Mördergrube und fluchte lautstark in den stillen Wald hinein, während Waldo der Vernichter ergrimmt, aber gewohnt stumm neben ihm herhumpelte. Das Leben als Mietklinge war nicht einfach. Wochenlange Warterei in zugigen Feldlagern bei mageren Rationen mit fauligem, madigem Fleisch, brutale Gefechte, lange Märsche in sengender Sonne und eisigem Frost. Aber auf den Umgang mit den Wahnsinnigen aus Markscheid war er trotz alledem nicht ausreichend vorbereitet gewesen.