Das klerikale Treiben in Markscheids Kirchengeschichte X
Teil X: Der Wiederaufbau
Nach dem 2. Weltkrieg war erst mal Ruhe. Rundum wurde Deutschland wieder aufgebaut. Das heisst, die Frauen, Witwen und Grossmütter räumten die Trümmer, die die Helden hinterlassen hatten, auf. ( Heute lassen die Helden ja nur noch ihre Socken herumliegen, das war damals noch anders.) Aufbauen war in Markscheid also nicht nötig, weil es gut war, wie es war. Warum hätte man auch etwas wieder aufbauen sollen, was sich so lange bewährt hatte?
Pfarrer Bählamm, der uns aus den 30er Jahren schon bekannt ist, soff sich in aller Ruhe zur Seligkeit hin; er war sehr enttäuscht, dass die Herrlichkeit des 1000-jährigen Reichs schon in den Windeln und entsprechend verkackt wieder geendet hatte. Da er die wahre Seligkeit nicht hatte erleben dürfen, tröstete er sich mit Wein-und Bierseligkeit. Eines Morgens im Jahr 1948 fand man ihn tot in der Sakristei in seinen Körperflüssigkeiten liegend, inmitten einer imponierenden Anzahl von leeren Flaschen. Er erlag einer Speiseröhrenblutung, die häufigste Todesursache bei trainierten Geniessern hochspiritueller Getränke – falls sie nicht schon vorher mit überhöhter Geschwindigkeit vom rechten Weg abgekommen sind.
Als man Bählamms sterbliche Überreste kremierte, kam es zu einer gewaltigen Verpuffung, die das Krematorium irreparabel zerstörte. Experten vermuten als Ursache eine erhebliche Menge Restalkohol im toten Gewebe des verblichenen Pfarrers. Dadurch erhielten die Markscheider doch noch etwas Neues und wenn es nur ein neues Krematorium war. Und die Grundplatte des zerstörten Ofens konnte in der örtlichen Pizzeria, die damals gerade erweitert wurde, wieder verwendet werden. So endete Bählamms Leben doch noch mit einer guten Tat und somit war letztlich allen gedient.
Der nächste Pfarrer liess lange auf sich warten; es fehlte an Nachwuchs, die Pfarrerverteilungsstelle der Diözese arbeitet, wie wir schon vermutet haben, sehr langsam. Auch fehlte es damals an geeignetem Material. So kam Markscheid erst 1958 zu einem neuen Pfarrer. Vorher mussten sich die wenigen Gläubigen Markscheids (etwa 13) mit religiöser Selbstbefriedigung mittels Heiligenbildern, religiösen Ersatzgegenständen, wie aus ortsfremden Kirchen geklauten Kerzen, Gesangsbüchern oder aus Kirchenbänken herausgebissenen Holzsplittern zufrieden geben. Es war auch diese trostlose Zeit, als aus der Not heraus der Devotionalienladen eröffnet wurde.
Niemand wollte schliesslich eine Gemeinde leiten, deren Kirche baufällig und zugig war und deren Gläubige eigentlich keine waren. Schliesslich wurde 1958 ein Pfarrer namens Viktor Foetorius nach Markscheid zwangsversetzt. Er war den Kirchenoberen schon mehrmals unangenehm aufgefallen, weil er es mit allem nicht so ernst nahm, weder mit der liturgischen Ordnung noch mit der persönlichen Hygiene; er war eigentlich ein netter Kerl, aber seine Soutane war immer fleckig und schon etwas steif; er konnte sie abends neben das Bett stellen. Seine Füsse dünsteten auf eine Weise, dass alle, die ihm nahe kamen, zurückwichen und um göttlichen Beistand beteten. So dachte der Bischof, Markscheid wäre ein gutes Umfeld für Pfarrer Foetorius. Schon bald musste auf vielseitigen Wunsch der Küster die Weihrauchverdampfer mit der fünffachen Ladung bestücken, damit überhaupt noch einige wenige die Kirche besuchten. Diese Zeit wird in Markscheids Kirchengeschichte deshalb die „Weihrauchperiode“ genannt.
Die intensive Beweihräucherung vermittelte dem Pfarrer einen völlig falschen Eindruck von der Gläubigkeit seiner Schäfchen. Er lehnte sich also beruhigt zurück, miefte vor sich hin und konnte im Übrigen seiner Faulheit und der Illusion nachhängen, dass in Markscheid mit der Kirche alles in Ordnung sei. Dass die vordersten Reihen in der Kirche kreisförmig frei blieben, wenn er predigte, erklärte er sich mit dem grossen Respekt, den die Gemeindemitglieder ihm entgegenbrachten. Dass es bei Beerdigungen ab und zu den Verblichenen die Frisur und die Fingernägel kräuselte, fiel ihm nicht auf. Einmal wachte ein frisch Verstorbener wieder auf, als Foetorius der Wohlriechende an seinem Sarg betete, rang nach Atem und keuchte: „Was zum Teufel ist das für ein grausiger Gestank? Bin ich in der Hölle? Verwese ich schon…“. Er setzte sich auf, blickte entsetzt um sich und verstarb dann definitiv.
Dass bei Taufen die Säuglinge blau anliefen und mehrere Male Dr.Scheider (der Grossvater unseres geschätzten Stadtarztes) gerufen werden musste, schien dem guten Viktor normal zu sein. Junges Leben ist halt noch etwas zerbrechlich, dachte er bei sich. Auch das gänzliche Ausbleiben von Vermählungen in seinem Sprengel machte ihm keine Sorgen. Und den plötzlichen Todesfall eines reuigen Sünders, der mit Schnappatmung den Beichtstuhl verliess und noch in der Kirche tot zusammenbrach, nahm er als gottgewollt hin.
Als er jedoch, weil ihm langweilig war, wie es bequemen Menschen oft geschieht, in Markscheids Kirche einen Laden eröffnete, wo er wichtige Überlebensutensilien für ältere Mitmenschen im Falle eines Weltuntergangs verkaufen wollte, wurde von der Diözese wieder eingegriffen. Er wurde zur Missionstätigkeit nach Südafrika verbannt, wo er dem Apartheitregime helfen sollte, die schwarze Bevölkerung von der Vermehrung abzuhalten.
Damit wir verstehen, warum seine Hobbytätigkeit den Kirchenoberhäuptern nicht gefiel, sollen hier einige Beispiele seiner Überlebensutensilien, die er feilbot, beschrieben werden:
Da war einmal das reichverzierte Seitenschläferkissen mit der Aufschrift: „Si vis pacem, para bellum“. (Willst Du Frieden, bereite den Hund zu.) Dann der gehäkelte Überzug für Toilettenpapierrollen mit Porscheemblem, gedacht, die Hutablage von Sportwagen zu verzieren. Und schliesslich der Verkaufshit: Die sprechende Bibel, die jedesmal, wenn sie geöffnet wurde, sagte: „Am Anfang war Nichts, dann kam ich und könnte ER bitte das Licht anmachen?“