Die göttlichen Ratsschlüsse
Nachdem Ludwig Thoma schon im Jahr 1911 schlüssig geklärt hatte, warum der bayrischen Landesregierung die göttlichen Ratsschlüsse abhanden gekommen waren und seither nicht mehr gefunden wurden, fehlt eine derartige Studie noch für Restdeutschland. Und dies, obwohl in Zeiten des Virus göttliche Ratsschlüsse dringend benötigt würden. Auch Markscheid als bescheidener Fleck von Restdeutschland hat hier einen empfindlichen Mangel zu beklagen. Dieses Defizit göttlicher Eingebungen ist aber bisher nicht gross ins Gewicht gefallen, da andere Mängel in Markscheid mehr gepflegt wurden und noch werden.
Nun ist wenigstens für Markscheids Politik Abhilfe in Sicht: Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich eine grüne Politikerin auf, die für unsere allseits verehrte und geschätzte Bürgermeisterin Frau Crohn-Corque eine ernsthafte Konkurrenz darstellt und die mit einer völlig neuen, griffigen Politik mit den verkrusteten, überholten Gepflogenheiten brechen will.
In einem wie bei den Grünen üblichen basisdemokratischen Grundsatzentscheid, beschlossen von zwei, eigentlich nur einem Mitglied des Vorstands der ‚Grünen Partei Markscheids‘ hat sich Frau Linn Hipp-Wadenreich (29) – wir haben sie anlässlich ihres engagierten Einsatzes für das neue Feuchtbiotop um den geborstenen Markscheider Stadtbrunnen bereits kennengelernt – zur Kandidatin für das Bürgermeisteramt erklärt.
Diese Ankündigung schlug ein wie eine Bombe und rüttelt die alteingesessene Politprominenz gehörig auf. Wir von der MamM, immer bereit, gewaltfrei, vorurteilsarm, ziemlich unbestechlich und faktenfreundlich zu berichten, wollen nun der Bürgermeisterkandidatin mit Biss auf den Zahn fühlen. Hier das schonungslose Interview, das von unserem bewährten Investigativreporter und Newsscout Frieder Lämmlein im Konferenzraum des Hotels „Zur letzten Zuflucht“ geführt wurde:
F.L.: „Frau Hipp- Wadenreich, wir haben Sie schon gut kennen und schätzen gelernt. Als Kämpferin für verlorene Anliegen, Retterin aussichtsloser Umweltschweinereien und Gönnerin des vom Aussterben bedrohten Einhorns. (Gnädiges Nicken der Jungpolitikerin) Nun kandidieren sie für das höchste Amt Markscheids. Warum tun Sie sich das an?“
Frau H.-W. : „Weil ich das kann.“
F.L.: „Aha, danke, das wusste ich nicht. Können Sie für unsere Leser denn kurz zusammenfassen, was die Schwerpunkte ihrer bisherigen politischen Arbeit waren?“
Frau H.-W.: „Ja, kein Problem, Zusammenfassen kann ich gut, das wurde mir schon von meiner Deutschlehrerin immer wieder bestätigt. So habe ich vor dem Abitur an nur einem Nachmittag „Krieg und Frieden“ von Tolstoi auf einem halben A4-Blatt zusammengefasst und „den Herrn der Ringe“ auf nur 5 Zeilen! (Blickt triumphierend)
Also: Ich habe erfolgreiche Kämpfe gegen Gluten geführt – das Wort wird übrigens „Gluteeen“ ausgesprochen! Wenn sie es wie die meisten als „Gluutn“ mit der Betonung auf das U aussprechen, liegen Sie völlig falsch und outen sich als inkompetent, unwissend und zeigen, dass Sie keine Ahnung von Gluteeen haben, das nur nebenbei … Also, wo waren wir?“
F.L.: „Kämpfe“
Frau H.-W.: „Ah ja, hab Kämpfe gegen Gluteeen, die Sacharose und Lactose geführt und es ist mir beinahe gelungen, in Markscheid diese Übel und Ursachen zivilisatorischer Dekadenz zu eliminieren. Auch ist in meiner Amtszeit als Ratsmitglied und Kommissionsleiterin für Umwelt und Rückbau der Chlorophyll- und Sandalenanteil in Markscheid um sagenhafte 2,4% gestiegen. Also, da soll noch einer sagen, ich sei nicht ausserordentlich erfolgreich. (Wirft ihr Haar in den Nacken) Und ich …“
F.L.: „Ja, danke. Wie sehen ihre Pläne aus, wenn Sie gewählt werden, was ist Ihr Programm für unsere gebeutelte Stadt?“
Frau H.-W.: „Sicher werde ich meinen Sieg erstmal mit einer grossen Party feiern, vegan natürlich und dann den lange aufgeschobenen und wohlverdienten Urlaub machen. Vermutlich nach Fidschi segeln, Fidschi, das noch sehr natürlich und unberührt von touristischen Verschmutzungen ist. Kann ich sehr empfehlen. Eine ehemalige, gute Freundin macht da schon lange Homeoffice und findet die Arbeitsbedingungen dafür ideal. Mein Programm? Dann werde ich in Markscheid Ethanol in allen seinen Formen bekämpfen und dafür sorgen, dass dieses kulturschädigende Zeug verbraucht, äh, verbannt wird.“
F.L.: „Es geht Ihnen also vor allem ums Abbauen, Eliminieren und Verbieten? Haben Sie auch noch ein paar konstruktive Elemente in Ihrem Programm?“
Frau H.-W.: „Wie kommen Sie mir? Was fällt Ihnen ein? Natürlich habe ich das! Darüber werde ich sprechen, wenn es Zeit ist. Kommt Zeit, kommt Rat, sage ich da immer. Und da ich eine gute spirituelle Verbindung nach oben habe … (deutet mit dem Daumen nach oben) kann eigentlich nichts schiefgehen. Und nun entschuldigen Sie mich, habe noch Vernünftigeres zu tun. Der Kampf gegen das Böse verlangt meine vollste Aufmerksamkeit….“
Erhebt sich und verlässt nach allen Seiten huldvoll winkend das Lokal. (was jedoch kaum jemand bemerkte. Anm. der Red.)