Die Namen der drei Rosen / 1.Teil
Jetzt, wo mein sündiges Leben sich dem Ende nähert, mein Augenlicht fast schon erloschen und mein siecher Körper meinem Geiste kaum noch von Nutzen ist, da will ich die kurze Zeit, die mir in dieser Welt noch bleibt, bevor ich vor dem Gericht unseres Herrn Jesus Christus stehe nutzen, um von den furchtbaren Dingen kund zu tun, die ich im Winter des Jahres 1375 in der Abtei von Markscheid erlebt habe. Ich bin der letzte noch lebende Beteiligte der damaligen Ereignisse und möchte mein Wissen an die Nachwelt weitergeben, nicht um mich eitel zu rühmen, sondern um zu warnen und um treulich Zeugnis zu geben.
Seinerzeit war ich noch ein junger Novize und unser heiliger Vater Gregor XI. residierte noch in Avignon. Seit zwei Jahren lebte ich, der in Danzig geboren wurde, in der seinerzeitigen Stadt der Päpste, als mein Meister Wilhelm von Korbdorfer mich eines Tages zu einer Reise in deutsche Lande mitzunehmen beliebte. Bruder Wilhelm hatte mich schon länger in seine Obhut genommen, ich vertraute ihm voll und ganz, habe dies nie bereut und wunderte mich trotzdem und war doch beunruhigt, weil der Meister auch auf hartnäckiges Nachfragen hin mir zwar das Ziel unserer Reise, nicht aber deren Zweck offenbaren wollte:
„Wie heißt es in der Apostelgeschichte so schön: ‚Er aber sprach zu ihnen: Es gebührt euch nicht, zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat‘. Der Teufel ist die Neugier! Sobald wir in Markscheid sind, wirst Du alles erfahren. Bis dahin glaube – und halt den Mund.“
Und so zogen wir den weiten Weg von Avignon hin zur kleinen Stadt in Deutschland oft tagelang schweigend dahin, bis wir schließlich unser Ziel erreichten.
Augenblicklich fiel mir das Mißverhältnis zwischen dem winzigen Nest Markscheid und seiner schon fast riesigen Abtei auf. Allein, wir kamen zunächst nicht durch deren Tor, denn davor stand allerlei Volk, zuvörderst Bauern, die mit ihren Karren den Weg verstellt hatten.
„Abt Schloz und sein Kämmerer Birkner sind des Landvolkes Tod!“, schallte es uns entgegen. Wütend wurden Mistgabeln geschwungen. Immer wieder wurde gerufen: „Erst stirbt der Bauer, dann das Markscheider Land“.
Es kostete meinem Meister Wilhelm alle Überregungskünste, uns freies Geleit in die Abtei zu verschaffen. Und als sich die schweren Tore hinter uns schlossen, da spürte ich gleich, daß wir in einer dunklen und völlig isolierten Welt angekommen waren.