Miss Marmoppel und die Höhle der Löwen (Teil 2)
Miss Marmoppel war für die Jury der beliebten TV-Show ‚Die Höhle der Löwen‘ als ‚Gastlöwe‘ nominiert worden. Eine besondere Auszeichnung für die bekannte Detektivin, die sie auch gerne annahm. Gemeinsam mit den drei erfolgreichsten Geschäftsleuten aus Markscheid hatte sie auf der kleinen Bühne im Studio Platz genommen. Sie konnte gar nicht sagen, ob ihr die Hitze der vielen Scheinwerfer, oder ihr eigenes Lampenfieber mehr zusetzte, jedenfalls fand sie das alles fürchterlich aufregend.
Und gleich die erste Kandidatin des Abends weckte Miss Marmoppels besonderes Interesse. Es lag aber keineswegs an der TV-Show, dass Miss Marmoppel begann, auf ihrem Platz nervös hin und her zu rutschten, nein, es war ihr kriminalistischer Spürsinn, der sich plötzlich vehement meldete. „Mein Name ist Mbawi Mwangi“, stellte sich die erste Kandidatin vor, eine Blondine mit blauen Augen. „Und ich habe einen Steinofen für das Pizza-Fahrrad erfunden.“ Die Kandidatin präsentierte dann einen geräumigen Würfel, an dem ein Kabel herunterhing. „Schon mal Pizza bestellt und der Kurier kommt nach einer Stunde mit einem lauwarmen, schlabbrigen Stück bei Ihnen zuhause an?“, fragte sie. „Aber das muss nicht sein. Der Pizzabäcker legt einfach seinen Pizza-Rohling in meinen tragbaren Steinofen, der mit diesem USB-Kabel Strom aus dem Smartphone des Pizza-Kuriers bezieht. Und 12 Minuten vor dem präzise errechneten Eintreffen am Zielort fängt der Ofen auf dem Fahrrad-Gepäckträger an, die Pizza knusprig zu backen. Wenn die Pizza dann an der Haustüre übergeben wird, hat sie ihre Höchsttemperatur erreicht. Toll, nicht?“
An dieser Stelle hätte Miss Marmoppel besser den Mund gehalten. Aber es platzte einfach aus ihr heraus: „Natürlich kann man in dem Ofen auch eine Leiche auf präzise 37 Grad temperieren und sie in einem fernen Stadtteil auf die Strasse werfen. Durch die Körpertemperatur sieht es für die Polizei dann so aus, als sei die Leiche erst vor wenigen Minuten gestorben.“ Ein Regieassistent in einem kurzärmeligen Polo-Shirt machte Miss Marmoppel Zeichen, den Mund zu halten.
Miss Marmoppel versuchte, auf die eklatante Diskrepanz zwischen dem Namen der Kandidatin und ihrer tatsächlichen Hautfarbe hinzuweisen. War das sonst niemanden aufgefallen?
Miss Marmoppel: „Sehr schön, das hört sich grossartig an. Aber ich habe Ihren Namen nicht richtig verstanden.“
Kandidatin: „Mbawi Mwangi.“
Miss Marmoppel: „Was ist das denn für ein Name?“
Kandidatin: „Das ist ein weiblicher Vorname.“
Miss Marmoppel: „Ist das ein afrikanischer Name?“
Kandidatin: „Natürlich“
Miss Marmoppel: „Kommen Sie aus Afrika?“
Kandidatin: „Nein, ich komme gerade von zuhause. Ich wohne in der Bumshagener Allee.“
Kichern im Publikum. Miss Marmoppel hatte an diesem Punkt schon verloren.
Die Taktik des langsamen Einkreisens durch Fragen klappte nicht, das war Miss Marmoppel jetzt klar. Also entschied sie sich, an dieser Stelle auf’s Ganze zu gehen.
Miss Marmoppel: „Sie sind so weiss, wie man nur weiss sein kann. Sie sind keine Afrikanerin. Diesen Namen, ich wette, den tragen sie erst seit letzter Woche. Um ihre wahre Identität zu verschleiern. Denn Sie sind Katharina Denners. Und nicht sie haben diesen Pizza-Ofen erfunden, sondern ihr Freund Oliver Seyfried. Wahrscheinlich seine einzige brauchbare Erfindung. Sie haben deren Potential sofort erkannt, ihren Freund ermordet und jetzt versuchen sie, die geklaute Erfindung zu Geld zu machen.“
Miss Marmoppel hatte an dieser Stelle so etwas wie ein Geständnis der jungen Frau erwartet, musste aber feststellen, dass sie es hier mit einer ganz abgebrühten Verbrecherin zu tun hatte. Die Kandidatin sagte zunächst einmal gar nichts. Als sie sicher sein konnte, die Aufmerksamkeit der gesamten Halle zu haben, grinste sie Miss Marmoppel frech an und stellte eine für die Situation ungewöhnliche Frage.
Kandidatin: „Sie haben als Kind bestimmt mit Indianer-Kostümen gespielt. Und ihren Puppen Dreadlocks geflochten, nicht wahr?“
Das Publikum bestand durchgehend aus jungen, woken Menschen. Eine Stimme war zu hören: „Das ist ja kulturelle Aneignung!“ Miss Marmoppel war verwirrt. Aber es ging noch weiter.
Kandidatin: „Und was haben Sie gegen einen afrikanischen Namen? Sind Sie eine Rassistin?“
Laute Stimme aus dem Publikum: „Keine Bühne für Rassismus!“
Kandidatin: „Dafür seid Ihr Engländer doch weltweit bekannt, für das Besetzen von Indien, das Annektieren der halben Welt und für Euren Rassismus!“
Unruhe im Publikum: „Keinen Millimeter Platz für die englische Rassistin!“
Kandidatin: „Und wie war das damals, mit dem Sklavenhandel zu den Kolonien? Haben Ihre Vorfahren wenigsten gut Kasse gemacht?“
Wütende Rufe aus dem Publikum: „Nieder mit der englischen Kolonialverbrecherin!“
Der Rest ging im allgemeinen Lärm und Getöse unter. Miss Marmoppel kam nicht mehr zu Wort. Aus den Reihen des Publikums wurde sie lautstark niedergebrüllt und jemand warf mit Tomaten und Pizzakäse nach ihr. Der Steinofen-Würfel wurde ebenfalls auf die Bühne geschleudert und verpasste Miss Marmoppel nur knapp. Der Regieassistent im kurzärmeligen Polo-Shirt lief aufgeregt wie ein Hühnchen zwischen den Kameras hin und her, bewirkte aber nichts. Miss Marmoppel konnte die Kandidatin im Tumult nicht mehr sehen. Hatte sie das Studio verlassen? Irgendwann packte El Blindo, der neben ihr saß, Miss Marmoppel am Arm und führte sie vor dem wütenden Mob nach draussen. Das war das letzte Mal, dass Miss Marmoppel in der Öffentlichkeit zu sehen war. Die Aufnahmen wurden durch die Regie gelöscht und Miss Marmoppel erhielt im Studio Hausverbot. Das mit der Höhle der Löwen hatte sie sich ganz anders vorgestellt.