Stolz, Vorurteil und Mietklingen
Der fleckige Rigobert und sein Freund Waldo betrachteten ihr Gegenüber im schmutzigen, dunklen und stinkenden Schankraum der übel beleumundeten Markscheider Herberge lange völlig wortlos. Dem Mann mit dem schwarzen Kapuzenumhang, den sie unter dem Namen Entenfeder kennengelernt hatten, war sein Missvergnügen über deren Gesellschaft inzwischen deutlich anzumerken. Dann setzte Rigobert unvermittelt zu einem für seine Verhältnisse ungewöhnlich langen Monolog an:
„Mir ist klar, daß es gegenüber uns Söldnern noch immer viele Vorurteile gibt. Man hält uns für klassisch unzuverlässig, für Menschen mit fragwürdigem Loyalitätsbegriff, ja sogar für ausgesprochen feige, charakterlich gescheiterte Existenzen. Das ist alles falsch, jedenfalls soweit es Waldo, den man auch den Vernichter nennt und mich betrifft. Ein Bäcker bietet seine Waren vielen Kunden an. Haben sie denn schon mal einen gesehen, der dabei gefragt hätte, ob seine Kunden nicht vielleicht verfeindet wären und der daraufhin bestimmte Leute von seinem Verkauf ausgeschlossen hat? Na?“
Der Mann im schwarzen Umhang schüttelte den Kopf.
„Und haben sie schon mal von einem Dachdecker gehört, der seine Leistungen grundsätzlich nur an einem einzigen Haus erbringt und dann den Beruf aufgibt, nur weil seine Arbeit daran getan ist?“
Wieder schüttelte Entenfeder den Kopf, diesmal schon etwas entschlossener.
„Während also Bäcker und Dachdecker ehrbare Leute sind, verachtet man uns Mietklingen, traut uns jeden Verrat zu, überzieht uns mit Verdächtigungen und Gemeinheiten, nur weil wir ab und an den Arbeitgeber wechseln. Ich sehe da nur viel falschen Stolz, der sich in uns ehrbaren Leuten ein Ziel gesucht und es auch gefunden hat. Und nun sprecht, ihr könnt meinem Freund und mir vertrauen.“
Der Mann erzählte nun eine traurige Geschichte. Er sei in der Gegend religiösen Verfolgungen ausgesetzt, weil er den Entengott anbete und zu dessen Priestern gehöre. 40 Taler stünden auf seinen Kopf ausgesetzt. Er biete den Mietklingen aber sogar 50, wenn sie ihn sicher nach Meltbüttel eskortieren würden, 25 sofort, den Rest dann nach Abschluss der zirka zweiwöchigen Reise. Und mit diesen Worten warf er einen Beutel voll klingender Münzen auf den verdreckten Tisch zwischen ihnen.
Und schon war man sich einig. Der fleckige Rigobert steckte den Beutel blitzschnell ein, erhob sich mit für einen Mann seiner Größe und Statur erstaunlicher Geschwindigkeit und bedeutete dem Entengläubigen, Waldo und ihm nach draußen zu folgen. Doch kaum waren alle drei über die Schwelle getreten, zückte Rigobert seinen Dolch und schnitt dem Kunden von hinten mit einer fließenden, kraftvollen Bewegung die Kehle durch. Noch bevor der fallen konnte, hakten die beiden Mietklingen den Mann rechts und links unter und steuerten mit ihrem sterbenden neuen Freund den Sitz der Stadtwache an, um das ausgesetzte Kopfgeld auf den Entenpriester zu kassieren.
Eigentlich war es ja wirklich gut gelaufen. Rigobert hätte vollauf zufrieden sein können. 25 Taler vom Kunden, jetzt noch 40 von der Stadtwache und dies alles ohne irgendein Risiko und auch, ohne sich einer beschwerlichen Reise unterziehen zu müssen. Und doch trübte etwas seine Begeisterung. Der Mann, dessen lebloser Körper jetzt zwischen Waldo und ihm hing, hatte offensichtlich angenommen, Söldner seien dumm und könnten nicht rechnen. Der fleckige Rigobert verzog bei diesem Gedanken unweigerlich das Gesicht, denn er hasste Vorurteile und bekämpfte sie, seit er eine Mietklinge geworden war.