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1000 Meisterwerke: Die Pizza im El Blindo

Veröffentlicht von Hans Wurst am

Willkommen zu einer weiteren Folge von 1000 Meisterwerke, in der wir heute ein zeitgenössisches Werk von beispielloser Zurückhaltung, ja fast schon provokanter Schlichtheit analysieren werden: die spärlich belegte Pizza aus der berühmten Pizzeria El Blindo in Markscheid.

Dieses Werk, geschaffen von Chefkoch El Blindo, dem Meister der Reduktion, fordert den Betrachter auf, tief in die Konzepte von Verzicht, Leere und kulinarischer Enttäuschung einzutauchen. Schon beim ersten Blick auf die Pizza wird klar: Hier handelt es sich nicht nur um ein Nahrungsmittel, sondern um ein Statement. Es ist eine Ode an das Wenige – und das mit erschreckender Konsequenz.

Die Pizza selbst, ein kunstvoll ausgerollter Teig, der fast bedrohlich viel Freiraum bietet, zeigt uns die wahre Bedeutung des unausgefüllten Raumes. Mit nur drei bis vier verstreuten Salamischeiben, die scheinbar verloren auf einer Fläche von 30 Zentimetern Durchmesser liegen, erinnert sie an die Werke von Piet Mondrian – nur dass Mondrian mit mehr Farbe und vor allem mehr Begeisterung gearbeitet hat. El Blindo hingegen wählte den Weg des Weglassens.

Teig. Sehr viel mehr braucht eine Pizza eigentlich nicht

Die verstreuten Oliven, die wir hier und da erkennen können, sind wie einsame Inseln in einem Meer von Nichts. Weniger ist hier nicht nur mehr, es ist das Einzige. Eine halbe Olive, die schüchtern in der rechten unteren Ecke der Pizza positioniert wurde, bringt uns auf die Spur des Konzepts der Entfremdung – sie möchte gegessen werden, ja, aber sie weiß, dass sie nie wirklich satt machen wird.

Das Spiel der Tomatensauce auf dieser Pizza ist geradezu existenzialistisch. Ein zarter Hauch von Rot, kaum zu erkennen, zieht sich wie ein gescheitertes Versprechen über den Teig. Es ist, als ob die Sauce einmal da war und dann beschlossen hat, lieber woanders hinzugehen, vielleicht zu einer Pizza, die es mehr verdient hätte.

Die Käseverteilung – oder besser gesagt, der Mangel an Käse – stellt uns vor die philosophische Frage: Was ist Käse, wenn er nicht da ist? Chef Blindo fordert uns hier zu einem mutigen Gedankenspiel auf: Muss man Käse sehen, um ihn zu schmecken? Oder ist die bloße Idee von Käse schon genug? Ein provokanter Gedanke, den die meisten hungrigen Gäste allerdings nicht wirklich schätzen.

Ein Gast der Pizzeria beschreibt seine Erfahrung: „Es war, als hätte ich in den Abgrund geschaut. Aber statt der Fülle des Lebens sah ich … Teig. Viel Teig. Und dann kam die Rechnung.“ Ein beeindruckendes Kunstwerk, das mit seinen Preisen die Grenze zwischen Kunst und Realität endgültig verschwimmen lässt.

Wenn der Lieferkarton besser schmeckt als die Pizza, dann ist sie aus dem ‚El Blindo‘ …

Doch genau darin liegt die Meisterschaft dieses Werkes. Es ist eine Kritik an unserer Konsumgesellschaft, die ständig nach mehr, nach Fülle und Überfluss verlangt. Blindo erinnert uns daran, dass das Leben auch aus Entbehrung besteht – aus den leeren Stellen auf einer Pizza, die genauso wichtig sind wie die belegten. Oder, wie es der Chef selbst ausdrückt: „Jeder Bissen dieser Pizza ist eine Meditation über das, was hätte sein können.“

Zum Abschluss bleibt uns nur zu sagen: Dieses Werk, diese Pizza, mag vielleicht nicht satt machen – weder körperlich noch emotional – aber sie wird uns doch lange beschäftigen. Sie stellt die Frage, ob wir nicht alle in Wahrheit auf der Suche nach dem einen, voll belegten Stück Pizza im Meer der spärlich belegten Leben sind.

In diesem Sinne: Buon Appetito, oder wie es in Markscheid heißt: „Guten Hunger – im wahrsten Sinne des Wortes.“