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Die Wüstenspringmaus (Teil 2)

Veröffentlicht von frcx am

Das Schwarzweiss-Foto eines kleinen Mädchens. Wir sehen es, wie es unbekümmert eine Treppe hochläuft. Von links ragt ein dunkler Schatten auf die Treppe. Er scheint nach dem Mädchen zu greifen. Es ist der Schatten des Todes.

Wir erinnern uns: Lieutenant-colonel Henri Leclercq wurde in den frühen Morgenstunden des Samstag 22. April 1961 in das Büro seines Standortkommandanten gerufen. In Algerien, damals noch Teil Frankreichs, war es zum Putschversuch von vier Generälen gegen die Regierung Charles de Gaulle gekommen. Sein Vorgesetzter hatte ihm befohlen, umgehend nach Algerien aufzubrechen und sich dort um die Rettung der grünen Wüstenspringmaus zu kümmern.

„Mon colonel, ist das ihr ernst?“, fragte Leclercq. „Wir befinden uns mitten in einem Staatsstreich und ich soll irgend ein blödes Nagetier einfangen?“
Der Colonel schien die Geduld zu verlieren. Sein Nervenkostüm war schon sehr dünn geworden.
„Nein! Natürlich geht es nicht um eine echte Maus. Grüne Wüstenspringmaus ist der Code für den nächsten Atombombentest. Meine Güte, Henri! Lesen Sie denn keine Zeitung? Blaue Wüstenspringmaus war die erste französische Atombombe, gefolgt von der weissen und der roten. Und jetzt eben die grüne.“
Gehört Grün neuerdings auch zu den Nationalfarben der Trikolore, lag es Leclercq auf der Zunge, verkniff sich die Frage aber.
Der Colonel fuhr fort: „Die Bombe ist bereits in Reggane, auf dem Gelände des Testzentrums in Algerien. Fliegen Sie hin und sichern sie die Bombe! Nicht auszudenken, wenn sie in die Hände der Putschisten fallen würde. Mon Dieu !

Henri Leclercq versuchte die allgemeine Lage zu verstehen. Der Putschversuch richtete sich eindeutig gegen die Bemühung von General de Gaulle, Verhandlungen mit der algerischen „Front de Libération Nationale“ zu führen. Leclercq musste an die Attentate der FLN denken. Die brutale Ermordung der Bauernfamilie Barral am 11. Mai 1957. Alle drei Kinder wurden bestialisch erstochen, die zwölfjährige Tochter zuvor vergewaltigt. Oder das Gemetzel in der ‚Milk-Bar‘ Eisdiele von Algier am 30. September 1956, bei dem eine Bombe der FLN drei junge Mütter in Stücke zerfetzt und 60 Kinder zum Teil schwer verletzt hatte. Die achtjährige Nicole Guiraud verlor ihren linken Arm und der vierjährigen Danielle Michel-Chich wurde der Unterschenkel abgerissen. Oder das Massaker an der Familie Mello in Aïn Abid, bei dem ein fünf Tage altes Baby in zwei Teile zerhackt und in den aufgeschlitzten Bauch seiner Mutter gestopft worden war. Oder der Überfall auf die Schule in Aïn Seynour. 57 Kinder wurden erdrosselt und ihre Lehrerin nackt und mit abgeschnittenen Brüsten an die Eingangstür genagelt.

Heute noch ein Kind. Morgen schon ermordet?

Nein, Leclercq wusste, was er von den Terroristen und Kindermördern zu halten hatte. Da musste er nicht lange überlegen. Seine Loyalität lag eindeutig auf Seiten der Putschisten. Und er wusste genau, wem er die Bombe übergeben würde, nachdem sie in seine Hände gefallen war. Und das würde sie. Noch in der selben Nacht flog er mit einer Transportmaschine nach Algerien.

Am Dienstag 25. April 1961 gab die französische Regierung bekannt, dass eine Atombombe mit der Bezeichnung ‚Grüne Wüstenspringmaus‘ in Hamoudia, auf dem Gelände des militärischen Testzentrums Reggane gezündet worden war. Zukünftige Versuche würden die Namen von Edelsteinen tragen und unterirdisch im Hoggar-Massiv in der Sahara stattfinden. Der Test der ‚Grünen Wüstenspringmaus‘ sei wegen des Putschversuchs vorverlegt worden, könnte aber trotzdem als voller Erfolg gewertet werden.

Die beteiligten Wissenschaftler waren anderer Ansicht. Sie hatten eine Explosion in der Stärke von geschätzt 6 bis 18 Kilotonnen TNT erwartet. Die gezündete Bombe brachte es jedoch gerade mal auf eine Kilotonne TNT. Auch waren zu ihrer grossen Enttäuschung weder die Explosion noch der für eine nukleare Detonation typische Rauchpilz zu beobachten gewesen. Die Zündung erfolgte wegen der Vorverlegung ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem ein heftiger Sandsturm über dem Testgelände tobte, der den Blick auf das Geschehen völlig verdunkelte. Aus ihrer Sicht war der Versuch ein kompletter Fehlschlag. Man hätte ebenso gut konventionellen Sprengstoff zünden und etwas Plutonium verstreuen können, es wäre kein Unterschied gewesen.

Einen Tag später stoppte etwa 700 Kilometer vom Testzentrum entfernt ein kleiner Lastwagen mitten in der Wüste. Im Radio wurde gerade bekannt gegeben, dass der Staatsstreich gescheitert war. Die beteiligten Regimenter begannen nach und nach sich zu ergeben und die anführenden Generäle wurden verhaftet. Henri Leclercq drehte sich um und blickte lange und nachdenklich auf die Ladefläche und die dort stehende Holzkiste.