Drogenszene Markscheid
Markscheid ist nur aus der Luft, mit dem Schiff entlang der Emscher oder über die Strasse durch das Moor der Fickwalder Sümpfe zu erreichen. Trotzdem wurde in den frühen Siebzigerjahren mit dem Bau eines Bahnhofs begonnen. Viele Markscheider freuten sich damals schon auf den Anschluss unserer Stadt an das internationale Schienennetz, als bekannt wurde, dass eine Bahnstrecke nach Markscheid weder geplant war, noch jemals realisiert werden würde. Das für mehrere Millionen von der Baufirma „Julius Crohn-Corque AG“ errichtete Bahnhofsgebäude steht seitdem leer. Seit Mitte der Achziger-Jahre hat es sich zum regelmässigen Treffpunkt der Drogenszene in Markscheid entwickelt.
Christine F. ist eine, die man hier häufig sieht. So auch heute. Die junge Frau mit dem fahlen Gesicht und den tiefschwarzen Augenringen hat sich bereits frühmorgens mit anderen Junkies vor dem Bahnhof eingefunden. Am ehemaligen Haupteingang, heute ein kleiner Durchschlupf neben einer mit Brettern verrammelten, eingeschlagenen Glastüre, wartet Christine F. auf ihren nächsten Schuss.
„Morgen höre ich auf. Ganz sicher“, sagt uns die junge Frau mit ihrer gebrochenen, leisen Stimme. „Nur noch heute. Ein letztes Mal. Nur noch ein Schuss. Morgen höre ich auf. Ganz sicher“, klingt es in unseren Ohren.
Christine F. erzählt uns von ihrem traurigen Schicksal. Die einst lebenslustige Volleyball-Spielerin war im Frühjahr 2021 in die Fänge eines skrupellosen Dealers geraten. „Er versprach mir ein tolles Leben. Ich müsste mich nur zweimal spritzen lassen. Dann hätte ich es hinter mir. Aber dabei blieb es natürlich nicht.“ Christine hält kurz inne, wischt sich eine Träne von der blassen Wange und spricht weiter: „Schon im Herbst hiess es, ich sollte mir eine weitere Spritze abholen. Denn die ersten beiden Spritzen würden nicht mehr wirken. Und Anfang 2022 sollte es dann schon der vierte Schuss sein. Bald war ich jeden Monat hier“, berichtet die junge Frau.
Mit zittrigen Händen knöpft Christine F. ihren fleckigen Parka zu. Kurz können wir einen Blick auf die zahlreichen Einstiche auf ihrem Oberarm erhaschen, doch schnell verbirgt sie den Anblick vor uns. Mittlerweile ist Christines Dealer eingetroffen. Sie lässt uns stehen und reiht sich in die Schlange der Junkies ein, die mit hochgekrempeltem Ärmeln geduldig für ihren Schuss anstehen. Wir empfinden tiefes Mitleid mit ihr.