Miss Marmoppel und der Profi
Rocco war angepisst. Richtig angepisst. Dabei war es weniger die lange Autofahrt, die ihn nervte. Es war auch nicht der Umstand, daß ausgerechnet der Typ am Steuer saß, mit dem er von allen in der Gang am wenigsten anfangen konnte, nämlich der, den sie nur „3D“ („Der Doofe Detlev“) nannten. Und als sie über die Stadtgrenze von Markscheid rollten, regte ihn nicht einmal richtig auf, daß er von diesem gottverdammten Nest noch nie etwas gehört hatte. Er war angepisst, weil er heute erstmals einem sehr alten Mann das Licht ausblasen würde. Im Altersheim! Sowas war eigentlich unter seiner Berufsehre. Aber egal, Job ist Job. Und Rocco war ein Profi.
Das Heim „Zur ruhigen Kugel“ lag recht günstig am Rand eines kleineren Forstgebietes. Rein und raus würde kein Problem sein und so beschäftigte sich Rocco auf dem Parkplatz vor der Anlage noch einmal kurz mit seiner Pistole, drehte den Schalldämpfer etwas fester und entsicherte die Waffe dann.
An der Anmeldung saß ein älterer Bursche, der gelangweilt von seiner Zeitung („Markscheid am Mittwoch“. Erschien die etwa nur einmal in der Woche?) aufblickte, als Rocco das Altersheim betrat. Dann sagte er die kryptischen Worte: „Wussten sie, daß die Russen den Menschen jetzt Drähte in den Kopf schießen, um sie dann damit fernzusteuern? Wussten sie das?!“
Rocco ließ sich nicht beirren. Er war Profi.
„Könnten sie bitte einem Arzt oder Pfleger Bescheid sagen? Ich möchte hier jemanden besuchen. Herrn Robert Immert.“
Darauf der ältere Typ: „Ich bin Arzt. Und Pfleger. Und Herrn Immert finden sie im zweiten Stock ganz links am Ende des Ganges.“
Im Treppenhaus erinnerte sich Rocco an den Robert Immert, den er vor zwanzig Jahren kurz einmal kennengelernt hatte. Der war damals 60, stand am Ende seiner Karriere und nannte sich nur Rob. Wenig später hatte er bei der Polizei den Singvogel gemacht und war dann plötzlich verschwunden. Aber keineswegs vergessen …
Auf dem Gang im zweiten Stock watschelte Rocco ein älteres Weib mit unsicherem Schritt entgegen. Als sie auf gleicher Höhe waren, knickte sie mit dem rechten Fuß ein und musste sich an seiner Jacke festhalten. Blitzschnell trat die Alte einen Schritt zurück und Rocco war nicht schlecht überrascht, sich plötzlich mit der eigenen Pistole konfrontiert zu sehen, die ihm die Frau stibitzt hatte und die jetzt auf ihn gerichtet war. Aber er wäre kein Profi gewesen, hätte er sich nicht umgehend in der Gewalt gehabt:
„Geben sie mir sofort die Waffe zurück! Das ist kein Spielzeug. Ich bin Polizist.“
Die alte Frau lächelte nur und entgegnete dann: „Aber natürlich sind sie Polizist. Deswegen schleichen sie auch hier durch das Altenheim mit einer russischen Makarov-Pistole mit Schalldämpfer, die übrigens recht verräterisch aus ihrer Jacke vorgeschaut hat. Wer sind sie? Wen wollen sie hier …“
Weiter kam die Alte nicht, denn jetzt trat ein extrem ungepflegter Mann wie aus dem Nichts auf sie zu, nahm ihr Roccos Pistole aus der Hand und brüllte: „Schon wieder sie, Miss Marmoppel! Schon einmal habe ich sie hier einweisen lassen und jetzt vergreifen sie sich sogar an meinen Kollegen und stehlen denen die Dienstwaffen!“
Mit diesen Worten reichte er Rocco die Pistole und meinte dann an diesen gerichtet: „Mein Name ist Knöllenbeck und ich arbeite bei der lokalen Polizeibehörde. Und natürlich sind sie Kollege, sonst dürften sie ja gar keine Waffe haben. Logisch, nicht?“
Und während die Alte und dieser komische Heimbewohner, der sich für einen Polizisten hielt, noch miteinander stritten, war Rocco längst schon auf dem Weg zurück zum Auto. Seinen Bossen würde er erzählen, Robert Immert sei leider schon eines natürlichen Todes gestorben. Das würde reichen. Und war es nicht schon Strafe genug für dessen Verrat, die letzten Lebensjahre mit solchen Typen verbringen zu müssen?