Emma Röthen. Was wirklich geschah.
Bedeutende Ereignisse werfen lange Schatten. Manchmal sind es nur kleine Mosaiksteine der Geschichte, die durch die grossen Ereignisse an einen bestimmten Platz verschoben werden. Und manchmal zeigen sich die Auswirkungen von grossen Ereignissen auch erst viele Jahre später. So auch bei Emma Röthen, der Grossmutter unseres allseits bekannten Kriminalkommissars. Leser der Markscheid am Mittwoch erinnern sich sicher an die erste Begegnung von Hermann Knöllenbeck und der verängstigten Emma Röthen, die sich vor einem Besuch der Polizei fürchtete und sich überglücklich über die Rückgabe ihrer Handtasche mit Ausweis und Pistole zeigte. Doch die Geschichte, die Emma dem gutgläubigen Hermann danach auftischte, stimmte vorne und hinten nicht. Aber was ist die wahre Geschichte? Tatsächlich begann alles mit einem bedeutenden Ereignis im Februar 1945 im wunderschönen Badeort Jalta auf der Krim.
Kurz vor dem Ende der berühmten Konferenz wurde der schon seit Tagen ungeduldig in seinem Hotelzimmer wartende General Charles de Gaulle endlich in den grossen Besprechungsraum vorgelassen, in dem die Konferenz tagte. Hier der offizielle Mitschnitt der folgenden Unterredung:
Roosevelt: Wir haben ein Einsehen mit Ihnen. Sie bekommen alle an Frankreich angrenzenden Gebiete als Besatzungszone.
De Gaulle: Ah, très bien !
Churchill: *grinst*
Roosevelt: Dazu noch den Norden Berlins und die Stadt Markscheid.
Churchill: *grinst noch mehr*
De Gaulle: Euh, Marquechaïd ?
Stalin: *bricht in lautes Lachen aus*
Roosevelt: Es ist ein Gesamtpaket. Nehmen Sie es, oder lassen Sie es.
De Gaulle: Merde !
Und so kam es, dass im Jahre 1956 noch immer französische Truppen in der Stadt Markscheid stationiert waren. Es war den Bewohnern Markscheids wohlbekannt, dass die Soldaten am 15. eines Monats ihren Sold bekamen, und dass dieser recht üppig war. Das weckte natürlich auch jede Menge kriminelle Energie bei dem einen oder anderen Markscheider. Fast schon professionell ging dabei der Gelegenheitsverbrecher Heinrich Jeckel vor, der seine Geliebte, eine junge Frau namens Emma Röthen, geschickt als Lockvogel in den Tanzklubs einsetzte. Die hübsche Emma bezirzte einen einsamen Soldaten, tanzte mit ihm, und lockte ihn dann nach draussen in eine dunkle Ecke. Dort wartete bereits Heinrich und versetze dem Soldaten einen Schlag auf den Kopf. Anschliessend raubte das Duo ihr Opfer aus. An jenem besagten Abend hatte Emma einen besonders dicken Fisch an der Angel. Es war niemand anderes als der stellvertretende Standortkommandant, Lieutenant-Colonel Leclercq. Das Paar staunte nicht schlecht, als sie die Beute, insgesamt zweitausendsiebenhundert amerikanische Dollar, zählten. Doch dann, fast schon typisch für Gelegenheitsverbrecher, die plötzlich einen Riesencoup landen, entbrannte ein Streit um die Aufteilung der Beute. Heinrich tat, was er immer in solchen Situationen tat: Er wurde gewalttätig. Und verprügelte Emma. Daher ihr blaues Auge. Emma versuchte zuerst zu flüchten, doch als sie sich in einer alten Ruine ohne zweiten Ausgang verirrte, blieb ihr nur noch ein Ausweg: Sie erschoss Heinrich in Notwehr.
Nach den Schüssen leerte Emma mit zittrigen Händen den Flachmann. Danach stopfte sie die Beute in ihren Mantel. Doch als sie die Pistole aufhob, passierte das, was jede junge Frau ohne Lebenserfahrung nachvollziehen kann, die schon einmal in eine Ausnahmesituation geriet: Man verliert einfach den Kopf. Emma steckte die Pistole in die Handtasche und warf diese so weit weg, wie es nur ging. Erst danach dämmerte ihr, dass in der Handtasche ja auch ihr Ausweis war. Voller Panik begann sie, die Ruine nach der Handtasche abzusuchen. Vergeblich. Nachdem sie zwei Stunden auf Knien durch die Ruine gerobbt war, konnte sie einfach nicht mehr. Sie ging nach Hause und wartete auf das unvermeidliche Schicksal: Das Eintreffen von Polizei und französischer Militärpolizei. Doch dann kam Hermann Knöllenbeck, ihr Retter, und brachte die verlorene Handtasche zurück.