Weiterlesen…" /> Weiterlesen…" /> ?>

Seemannsgräber / Teil 3

Veröffentlicht von El Blindo am

Die ‚Flamand‘ war vermutlich das letzte Vollschiff der französischen Marine, welches sich Ende September 1805 noch in einem Landeshafen befand. Es handelte sich um ein 80-Kanonen-Linienschiff (Zweidecker) 1. Ranges der Tonnant-Klasse mit 780 Mann Besatzung an Bord, die nur noch auf ihren neuen Kommandanten warteten, um den Hafen zu verlassen.

Rigobert wurde beim Betreten des stolzen Schiffes von seinem Ersten Offizier Lieutenant Jean-Jacques Salan begrüßt: „Kapitän Demagnien, ich freue mich, sie an Bord willkommen zu heißen. Meine Männer und ich haben alles vorbereitet. Möchten sie, daß ich ihnen erst die Offiziere vorstelle oder wollen sie sofort die Befehle geben, um in See zu stechen?“

Rigobert war natürlich auf eine solche Situation vorbereitet: „Wir stechen erst in See, die Herren können sie mir später vorstellen. Welche Befehle würden sie jetzt geben? Und erklären sie mir dies bitte möglichst ausführlich.“

Salan mußte kurz schlucken. Der neue Kommandant wußte also, daß er sich um ein Kapitänspatent beworben hatte und stellte ihn auf die Probe! Na, die Fahrt konnte ja lustig werden … Dann aber sprach er mit fester Stimme: „Die Anker sind gelichtet, die Kanonen verzurrt und gesichert. Also jetzt Leinen los und alle Mann zum Segelsetzen. Toppgasten aufentern und Zeisinge lösen lassen. Tempo machen beim Trimmen des Vorbramsegels. Schoten dichtholen, aber nicht zu ruckartig und die Männer hieven lassen. Auf die Leute im Vortopp achten, die sind immer zu langsam. Immer. Bramschoten durchsetzen, an die Brassen und belegen.“

Rigobert, der natürlich kein Wort verstanden hatte, besaß die abgebrühte Frechheit zu antworten: „Sehr gut, nichts anderes wäre mir auch in den Sinn gekommen. Dann lassen sie das mal machen. Und jetzt möchte ich gerne in meine Räumlichkeiten geführt werden.“

Am späten Abend unterhielt sich Lieutenant Jean-Jacques Salan am Galion direkt am Fuße des Bugspriets mit dem Ersten Gefechtsrudergast Wilke und war des Lobes voll über den neuen Kapitän: „Was für ein Seemann! Er stellt jedem der Offiziere Fragen, als sei er der letzte Landlubber und beobachtet dabei genau die Reaktionen, nimmt uns quasi ständig ins Examen. Dabei behält er immer den Überblick und lächelt, weil er natürlich genau weiß, was zu tun ist. Mon dieu, ist der gut! Ich habe keinen Zweifel, das wir einem großen Sieg entgegengehen. Von Trafalgar wird man noch in zweihundert Jahren sprechen.“

Wilke war ein wenig nachdenklich an diesem Abend: „Ich bin mir ganz sicher, Kapitän Demagnien schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Aber ich komme einfach nicht mehr auf die Umstände, unter denen dies geschehen ist. Es war irgendwo in meiner deutschen Heimat. Er scheint mir ja ganz umgänglich, ich werde ihn einfach mal darauf ansprechen.“ Zwei Tage später verschwand Wilke rätselhafterweise auf Nachtwache. Vielleicht war der Erste Gefechtsrudergast betrunken über Bord gegangen. Jedenfalls hat man nie wieder von ihm gehört.

Der Zauber einer Seeschlacht leidet stets darunter, daß meist auch der Gegner Kanonen hat

In der Schlacht von Trafalgar am 21. Oktober 1805 erlitten die französisch-spanischen Seestreitkräfte eine verheerende Niederlage. Die ‚Flamand‘ wurde von der britischen Marine zuerst zusammengeschossen und dann geentert. Von den 780 Mann Besatzung überlebten nur etwas weniger als 500, die natürlich in Gefangenschaft gingen, viele davon verletzt. Kapitän Demagnien aber konnte von den britischen Enterkommandos weder tot noch lebendig gefunden werden und gilt als vermisst. Und auch die Kriegskasse der ‚Flamand‘ blieb für die Briten unauffindbar.
Zum Gedenken an die französischen Soldaten der napoleonischen Kriege thront heute die ‚Säule der Grande-Armée‘ über dem Tal von Boulogne-sur-Mer. An ihrem Fuße findet sich unter dem goldgefaßten Wort ‚Gloire‘ (Ruhm) auf einer Gedenktafel eine Liste mit verdienten Seeoffizieren, die bei Trafalgar gefallen sind. Darunter steht auch der Name Frederic Demagnien.

Vier Wochen nach der Schlacht heuerte Rigobert in Lissabon auf der Handelsbarkasse „Delfini“, die unter neutraler Flagge segelte mit Zielhafen Stettin an. Er nannte sich jetzt Peter Scheider und führte zahlreiche zwar gefälschte, aber doch auch beeindruckende Empfehlungsschreiben mit sich, die ihn als erstklassigen Schiffsarzt auswiesen. An die bedauernswerte Mannschaft der ‚Flamand‘ dachte er kaum noch, denn mit Verlierern wollte er sich nur ungern belasten. Ärzte hingegen werden überall gebraucht, wie er bald erfahren sollte.

Das aber ist schon eine neue Geschichte.