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Der Agentenaustausch

Veröffentlicht von frcx am

Es war ein kalter Nachmittag im Oktober 1967. Lieutenant-Colonel Henri Leclercq, der ehemalige stellvertretende Kommandant der französischen Garnison in Markscheid, stand am Ufer der Havel und blickte ins Wasser. Markscheid war ja schon schlimm gewesen, aber Berlin übertraf alles. Leclercq schnippte die billige russische Zigarette in die Havel. Drüben, auf der amerikanischen Seite der Glienicker Brücke, fuhren dunkle Limousinen vor. Männer in langen Mänteln stiegen aus. Die Russen auf dieser Seite der Brücke beobachteten alles genau durch ihre Ferngläser. In wenigen Minuten würde Leclercq mit den anderen amerikanischen Agenten gegen einige der Männer dort drüben ausgetauscht werden.

Wie war es nur soweit gekommen? Henri Leclercq dachte zurück an Markscheid. Was war das Leben als amerikanischer Spion dort einfach gewesen. Ein paar geheime Dokumente hier, ein kleiner Mikrofilm dort. Nichts, was sich nicht machen liess. Doch dann hatte Bob, sein amerikanischer Kontakt, ihn überredet, sich auf die freie Stelle des Militärattachés bei der französischen Botschaft in Moskau zu bewerben. „Die Russen beschatten jeden unserer Mitarbeiter. Sie als Franzose haben da freie Hand. Die Russen werden sich nicht um Sie kümmern. Bauen Sie einen Agentenring auf. Wir zahlen gut“, hatte Bob ihn gelockt.

Woher hätte Henri wissen sollen, dass der Nachtpförtner des Aussenministeriums, den er in einer billigen Vodka-Kneipe ansprach, ein Agent des KGB war? Im nachhinein hätte es ihn stutzig machen müssen, wie leicht er an die Nachschlüssel des Ministeriums gekommen war. Und wie leicht sich der Safe im Büro von Aussenminister Gromyko öffnen liess. Just in dem Moment, als er ein Bündel Geheimpapiere aus dem Safe nahm, wurden die Türen aufgestossen und bewaffnete Agenten hatten den Raum gestürmt. Er war in Flagranti erwischt worden. Jetzt half auch keine diplomatische Immunität mehr. Die nächsten drei Jahre verbrachte Henri in einem russischen Gefängnis übelster Sorte.

Der Weg in die Freiheit. Henri musste lange auf ihn warten.

Henri zermarterte sich das Gehirn, um einen Weg zu finden, wie er aus dem Gefängnis wieder heraus kommen könnte. Die Amerikaner würden ihn nicht austauschen. Sie tauschten nur eigene Landsleute aus. Er als Franzose war ihnen vollkommen gleichgültig. Ein nützlicher Idiot, solange er lieferte. Jetzt war er nicht mehr nützlich. Also nur noch ein Idiot. Und die Franzosen? Würden ihn lieber in der Hölle schmoren sehen, als ihn da rauszuholen. Er war auf sich alleine gestellt. Nach etwa einem Jahr Gefängnis reifte eine Idee in Henri. Es war eine gute Idee. Er begann jedem, egal ob Mithäftling oder Wärter, zu erzählen was für unglaubliche Pläne er in den Geheimpapieren aus Gromykos Safe gesehen hatte. Was der Kreml vorhatte, war eine Riesensauerei. Leider könne er keine Details nennen, um sein Leben nicht zu gefährden. Natürlich hatte Henri keine Ahnung, was in den Geheimpapieren stand, die er aus dem Safe geholt hatte. Er hatte keine Zeit gehabt, einen Blick darauf zu werden. Aber darauf kam es gar nicht an. Henri wusste, früher oder später würden seine Behauptungen ihren Weg zu den Amerikanern finden. Und die waren viel zu neugierig, um Leclercq und seine Andeutungen zu ignorieren. Tatsächlich waren die Amerikaner bereits nach wenigen Monaten im Bilde. Es dauerte aber noch eineinhalb Jahre, bis ein Austausch mit den Russen ausgehandelt war.

Henri blickte der billigen Zigarette nach, die in der Havel flussabwärts trieb. Was würde er den Amerikanern bei ihren Verhören sagen? Bestimmt nicht die Wahrheit. Er brauchte noch irgendeine unglaublich klingende Story. Am besten eine, die vor drei Jahren angesiedelt und inzwischen bereits Geschichte war. Ein Angriff Nordvietnams auf den Süden des Landes, hinter dem die Russen steckten? Ja, das würden sie ihm sofort abkaufen. Später würden sie ihn nach Louisiana bringen und ihm dort eine neue Identität geben. Am meisten würde er das französische Essen vermissen. Ob er sich jemals an ihre Hamburger gewöhnen könnte?