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Der Sandhaufen

Veröffentlicht von frcx am

Es war der Abend des 8. September 1961. Henri Leclercq stand am Rand der Route Nationale 19 und wartete. Nur wenige Wochen waren vergangenen, seit er in die Dienste der OAS getreten war. Die Untergrundorganisation führte einen erbitterten Kampf für den Verbleib Algeriens als französisches Territorium. Nun stand er in der Dunkelheit am Rand einer Strasse hundertzwanzig Kilometer von Paris entfernt neben einem Sandhaufen und wartete. Wieder einmal. Warten schien eine der wichtigsten Beschäftigungen für ihn geworden zu sein.

Auf der anderen Seite der Strasse standen weitere Männer der OAS. Den Plan ausgearbeitet hatte Jean Bastien-Thiry. Ein junger aufstrebender Lieutenant-colonel der Luftstreitkräfte, der sich wie Leclercq der OAS angeschlossen hatte. Ein brillanter Ingenieur, der aber über keine Erfahrung mit der Durchführung von Spezialoperationen verfügte. Ein Umstand, für den er noch sehr teuer bezahlen würde. Der Plan konnte theoretisch gar nicht schief gehen. Doch eine Sache hatte Bastien-Thiry nicht bedacht: Feuchtigkeit.

Um 21:43 Uhr näherten sich fünf schwarze Citroën-DS-Limousinen mit hoher Geschwindigkeit. Leclercq wusste, Charles de Gaulle würde im ersten Wagen sitzen. Mit seiner Frau Yvonne war er auf dem Weg zu seiner privaten Residenz in Colombey-les-Deux-Églises. Als der Konvoi des Präsidenten den Sandhaufen erreichte, drückte einer der Männer den Auslöser. Die heftige Explosion schleuderte den Citroën von de Gaulle auf die Gegenfahrbahn, verursachte aber keine Schäden. Der ebenfalls unter dem Sand versteckte 20-Liter-Kanister mit Öl und Benzin fing Feuer, die Flüssigkeit verbreitete augenblicklich eine Wand aus Flammen auf der ganzen Fahrbahn. Doch die 40 Kilogramm Plastiksprengstoff lagen mit den Zündern bereits seit einer Woche unter dem feuchten Sand. Nur zehn Prozent zündeten, der Rest versagte. Francis Marroux, der Fahrer des Präsidenten, gab sofort Vollgas. De Gaulle entkam unverletzt.

Im richtigen Moment Gas zu geben kann über Leben und Tod entscheiden

Drei Jahre zuvor, am 4. Juni 1958 hatte Charles de Gaulle in seiner Rede vom Balkon des Palais du Gouvernement in Algier der versammelten Menge von 300.000 Algerien-Franzosen den berühmten Satz „Je vous ai compris“ (Ich habe Euch verstanden) zugerufen. Und zwei Tage später in Mostaganem mit „Vive l‘Algérie française !“ noch nachgelegt. Die Franzosen in Algerien setzten all ihre Hoffnungen auf de Gaulle. Als immer deutlicher wurde, dass de Gaulle geheime Verhandlungen mit der FLN führte und beabsichtigte, Algerien in die Unabhängigkeit zu entlassen, fühlten diese Menschen sich hintergangen. De Gaulle wurde für sein falsches Spiel zur Hassfigur und es verwundert nicht, dass die OAS neben dem Kampf gegen die algerische FLN nur ein Ziel kannte: Charles de Gaulle zu töten.

Jean Bastien-Thiry versuchte am 22. August 1962 ein zweites Attentat auf de Gaulle. Zu diesem Zeitpunkt war Algerien bereits unabhängig und der Tod des Präsidenten hätte politisch nichts mehr geändert. Aber es zeigt die heftige Verbitterung über die als Verrat empfundene Politik de Gaulles, welche die französische Gesellschaft tief gespalten hatte.

Mit Maschinenpistolen bewaffnete Mitglieder der OAS warteten spät abends am Kreisverkehr von Petit-Clamart in einem Lieferwagen auf den Konvoi des Präsidenten. Bastien-Thiry hatte sich weiter vorne postiert. Als sich die Kolonne näherte, gab er das verabredete Zeichen und schwenkte eine Zeitung. Aber wieder einmal hatte er ein wichtiges Detail nicht bedacht: Dunkelheit. Die Männer im Lieferwagen erkannten das Zeichen in der Dämmerung zu spät und eröffneten das Feuer erst, als der Citroën mit de Gaulle bereits an ihnen vorbeifuhr. 187 Schüsse wurden abgefeuert, 14 Kugeln trafen den Citroën, die hintere Seitenscheibe zersplitterte. Doch wieder einmal blieb der Präsident unverletzt. Bastien-Thiry wurde wenige Tage später gefasst und im folgenden Jahr zum Tode verurteilt. Er war der letzte Häftling, der in Frankreich durch ein Erschiessungskommando hingerichtet wurde. Die OAS war am Ende.

Epilog
Und Henri Leclercq? Schnell war ihm klar geworden, dass die Mitglieder der OAS zwar glühende Patrioten waren, ihre Aktionen aber meist stümperhaft und dilettantisch durchgeführt wurden. Er hatte sich abgesetzt, noch bevor Geheimdienste oder Polizei auf ihn aufmerksam wurden und kehrte nach Markscheid zurück. Seinem Colonel tischte er eine wilde Räuberpistole über eine angebliche Entführung und Gefangennahme durch die OAS auf und übernahm wieder seinen alten Posten.