Die letzte Fahrt der ‚Markscheid‘ / Teil 1
Im Herbst des Jahres 1897 strandete die ‚Markscheid‘ vor der englischen Küste. Die Bergungsmannschaft war überrascht, das Schiff verlassen von der Mannschaft und in einem furchtbaren Zustand vorzufinden. Die ‚Markscheid‘ galt bisher als Kronjuwel der Reederei ‚Crohn-Linie‘ und hatte sich auf der Rückfahrt vom rumänischen Hafen Konstanza nach London befunden. Eine Untersuchung des britischen Seegerichts führte damals zu keinerlei brauchbaren Ergebnissen, die Mannschaft blieb verschollen und seit damals ranken sich bis in unsere Tage hinein Mythen und Legenden um die letzte Fahrt des einst so stolzen Schiffes.
Jetzt, mehr als 125 Jahre später, könnte endlich Licht in die damaligen Ereignisse kommen. Bei ihrer Arbeit im Homeoffice auf den Fidschi-Insel hat die markscheider Bürgermeisterin Beate Crohn-Corque zwischen den Seiten eines alten Buches aus Familienbesitz den Brief eines Ahnen gefunden, bei dem es sich um niemand geringeren handelt als Benjamin Crohn, den Reeder und Schiffseigner der ‚Markscheid‘. Er war bei der verhängnisvollen Reise mit an Bord und hat den Brief im August 1897 von Tripolis aus an seine Ehefrau nach Markscheid geschickt. Können uns seine Zeilen wohl Aufschluss darüber geben, was an Bord des Schiffes geschehen sein mag?
Mit Erlaubnis der Bürgermeisterin druckt die MamM dieses wichtige historische Dokument hier erstmals ab:
„Tripolis, den 17. August 1897
Hochwerte Ehegemahlin, geliebte Hiltrud!
Nach ereignisreichen Wochen auf See ist unser Schiff heute im Hafen von Tripolis eingelaufen und mir steht der Sinn danach, etwas von den wunderlichen Dingen, die mir widerfahren sind, mit meinem lieben Weib zu teilen. Wenn Dich dieser Brief erreicht, werde ich sicher bereits wohlbehalten zurück in London sein, doch vielleicht ist mir dann nicht mehr alles so frisch im Gedächtnis wie jetzt zu Zeiten.
Wir hatten eine herrliche Anfahrt nach Rumänien, blieben von Stürmen verschont und nur selten habe ich eine derart wohlgemute und fröhliche Mannschaft wie die unsere auf meinen Reisen erlebt. Doch leider hat sich all dies im Hafen von Konstanza geändert, sobald die Ladung aus den tiefsten Karpaten im Schiffsrumpf verstaut war und wir uns an die Rückfahrt gemacht haben. Unsere Fracht besteht aus vierundzwanzig länglichen, sargähnlichen Kisten, die laut Papieren Erde für botanische Zwecke und Silbersand enthalten. Mir war bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht klar gewesen, was für einen fruchtbaren Boden Transsilvanien hat und vielleicht sollte ich mal eine der Kisten öffnen, um mir deren Inhalt näher zu besehen. Besonders schön ist eine der Kisten geschmückt, die mit zwei großen Siegeln in blutroter Farbe versehen ist. Da sieht man mal, wie wichtig den Menschen dort ihr Boden ist, daß sie sich solche Mühe machen.
Und wie mir aufgefallen ist, sind die Menschen in Rumänien auch noch besonders religiös. Der Hafenmeister jedenfalls hat sich bei der Abfahrt unseres Schiffes höchstselbst an die Mole gestellt, laute Gebete in unsere Richtung gesprochen und sich dabei ständig bekreuzigt. Ein wundervoller Mensch, auch wenn er leider nicht dazu zu bewegen war, einen Fuß auf die ‚Markscheid‘ zu setzen.
Fortan begann leider der weniger schöne Teil unserer Reise.“
Wird fortgesetzt …