Eine Mietklinge und ihre Standpunkte
Der fleckige Rigobert lief zwar zügig, aber nicht besonders schnell durch den dunklen Wehrgang, der zum Innenhof der Burg Markscheid führte. Er wollte Kraft für den Kampf sparen, der nun vor ihm lag. Sein Schwert mit der markanten, leicht gebogenen Klinge hatte er längst aus der Scheide gezogen, der Dolch steckte griffbereit im Stiefelschaft, er war vorbereitet. Dann erreichte er das Freie und war ganz kurz geblendet vom Licht und betäubt vom Kampflärm.
Es gibt Kämpfer, die sich in solchen Situationen zunächst orientieren, versuchen, Freund von Feind zu unterscheiden und erst dann ins Geschehen eingreifen. Rigobert als erfahrene Mietklinge nahm einen anderen Standpunkt ein. Die Leichengruben waren voll mit Idioten, die gezögert hatten, um sich erstmal einen Überblick über die Kampfsituation zu verschaffen. Also rammte er der ersten Gestalt, die gerade mit dem Rücken zu ihm mit einem Kriegshammer herumfuchtelte, sein Schwert zwischen die Schulterblätter.
Natürlich hatte er einen der eigenen Leute erwischt, einen der Markscheider und der Soldat aus Hörde, der gerade mit diesem im Zweikampf gewesen war, blickte nun erst reichlich verdattert auf seinen zusammenbrechenden Kontrahenten und dann auf Rigobert. Verwirrt senkte er die Klinge.
Es gibt Krieger, die solche Situationen erst einmal aufklären, dem Gegner die Zeit geben, sich neu zu orientieren, sich höfisch verbeugen und dann erst zur Gewalt zurückfinden. Rigobert nahm auch in dieser Frage einen anderen Standpunkt ein. Also lächelte er den Hörder erst freundlich an, hob grüßend die linke Hand, ging einen Schritt auf dem Mann zu und stieß ihm dann mit einer raschen Bewegung den Dolch in den Hals. Und während der röchelnd zu Boden ging, machte Rigobert kurz Zwischenbilanz:
Zwei Tote in ungefähr drei Minuten bei einem halben Taler pro Mann, das machte … Gut, als Mietklinge darf man nicht zimperlich sein, wenn man seinem Brotherrn die Rechnung präsentiert. Da erklang die Glocke. Was dem fleckigen Rigobert übrigens völlig egal war. Er sah nur, wie neben ihm alles mitten im Kampf erstarrte, was ihm eine gute Gelegenheit gab, erst seinen Dolch aus dem Hals des letzten Gegners zu ziehen und ihn dann umgehend dem Nächststehenden ins Genick zu pflanzen. Und dann hob auch schon das Geschrei an …
Von jeder Ecke des Hofes her zeigten Finger auf ihn, in seltener Einheit schrien ihn Hörder als auch Markscheider an, man war aufgebracht und der Kampfeslärm abrupt unterbrochen.
Der fleckige Rigobert staunte nicht schlecht, als er nun erfuhr, daß die Glocke eine halbstündige Mittagspause vom Kriegsgeschehen eingeläutet hatte, die Gewerkschaftsfunktionäre beider Seiten in langen Verhandlungen mit ihren jeweiligen Führern und denen der anderen Partei ausgehandelt hatten. Er, Rigobert, habe diese Vereinbarung gerade mit dem Mord an einem der Kampfer während der heiligen Pause gebrochen und dürfe jetzt nicht mehr mitmachen.
Eine halbe Stunde später saß er schon auf seinem neuen Roß, hatte die Stadt hinter sich gelassen und schüttelte noch immer den Kopf. Mittagspause! Mitten im Krieg! Verrückte! Diese Stadt würde es schon bald nicht mehr geben.
Immerhin hatte man ihn noch zum Zahlmeister in den Turm geschickt, um seinen Tagessold abzuholen, während die anderen pausierend im Hof der Burg vor sich hin dösten. Und ein anderer Söldner hätte es vielleicht anstößig gefunden, diese Gelegenheit zu nutzen, um den Herrn der Münze zu erdolchen, den erarbeiteten Lohn kräftig aufzurunden, dem so jäh Verstorbenen auch noch das treue Pferd zu rauben und sich dann rasch aus dem Staub zu machen. Doch der fleckige Rigobert nahm auch in dieser Frage einen gänzlich anderen Standpunkt ein.