Weiterlesen…" /> Weiterlesen…" /> ?>

Spione in Markscheid

Veröffentlicht von frcx am

Es war ein kalter Abend im November 1956. Die Tanzbar war bis zum Bersten gefüllt. Die französischen Besatzungstruppen hatten vor wenigen Tagen ihren Sold erhalten und strömten an diesem Samstagabend hungrig nach Abwechslung durch die Kneipen von Markscheid. Lieutenant-Colonel Henri Leclercq, der stellvertretende Standortkommandant der französischen Garnison, hatte sich in die hinterste Ecke der Tanzbar gesetzt. Die Streichholzschachtel mit dem versteckten Mikrofilm lag vor ihm auf dem Tisch. Jeden Moment musste Bob, sein amerikanischer Kontakt, die Tanzbar betreten.

Bob war natürlich nicht der richtige Name des amerikanischen Agenten. Aber Bob zahlte gut. Für die Pläne der französischen Verteidigungsstrategie, die Henri aus dem Sitz des Oberkommandierenden der französischen Truppen in Deutschland, einer schönen Villa oberhalb von Baden-Baden, gestohlen hatte, waren ihm von Bob viertausend amerikanische Dollar versprochen worden. Henri hatte die Pläne Bob bei ihrem letzten Treffen übergeben. Der wollte die Pläne zuerst prüfen und dann zahlen. Ein kleiner hagerer Mann setzte sich plötzlich und bestellte ein Bier. Es war Bob. Henri griff unter den Tisch und da wurde ihm auch schon ein Umschlag in die Hand gedrückt. Henri zählte den Inhalt. Zweitausendsiebenhundert amerikanische Dollar. Henri verzog das Gesicht.

Henri: Ausgemacht waren Viertausend.
Bob: Die Pläne kannten wir schon. Das ist für Ihre Mühe.
Henri: Sie wollen doch nicht etwa meinen Preis drücken?
Bob: Was denken Sie von mir?! Aber reden wir lieber von Ihrem letzten Besuch in Paris. Was gibt es neues im Algerienkrieg?

Henri überlegte. Wenn er Bob jetzt die Streichholzschachtel mit dem Mikrofilm rüber schob, würde er damit die einseitige Kürzung seines Agentenlohns durch die Amerikaner hinnehmen. Und sie würden es wieder tun. Henri schaute Bob direkt in die Augen. „Zu viele Generäle im Zimmer. Ich kam nicht an den Safe heran“, log er, während er die Streichholzschachtel unauffällig wieder in seiner Jackentasche verschwinden liess. Er musste Bob zappeln lassen. In ein paar Tagen würde er Bob über den toten Briefkasten den Mikrofilm anbieten. Und Achttausend Dollar fordern. Zahlbar diesmal vorab.

Da war die Welt noch in Ordnung: Der junge Capitaine Leclercq bei der Befreiung von Paris (vorne im ersten Fahrzeug stehend)

Als Bob gegangen war, schaute sich Henri in der Tanzbar um. Sein Blick traf sich mit dem einer aussergewöhnlich hübschen jungen Frau. Henri lächelte. Die junge Frau lächelte zurück und kam zu ihm an den Tisch. Henri kramte seinen ganzen Charme hervor. Bald darauf tanzten sie eng umschlungen. Die junge Frau schlug vor, zu ihrer Wohnung zu gehen, die ganz in der Nähe war. Nur zu gerne stimmte Henri zu. Die hübsche Unbekannte nahm seine Hand und führte ihn nach draussen. Als sie in eine dunkle Seitengasse abbog, kamen Henri erste Zweifel. Aber es war schon zu spät. Der Totschläger traf Henri am Hinterkopf. Er sackte zusammen.

Doch schon nach wenigen Minuten kam Henri wieder zu sich. Er griff in die Jackentasche. Das Geld war weg. Die Streichholzschachtel war weg. Henri fluchte. Da hörte er in der Nähe Stimmen. Ein Mann und eine Frau stritten sich. Auf gut Glück ging Henri in ihre Richtung. Er erkannte die Frau sofort. Offensichtlich stritten sich beide um das Geld, dass sie ihm geraubt hatten. Der Mann schlug auf die Frau ein. Diese rannte weg. Der Mann hinterher. Henri folgte den beiden mit etwas Abstand. Da machte die Frau einen Riesenfehler. Sie floh in eine alte Ruine. Schon bald hatte sie der Mann eingeholt und packte sie am Hals. Plötzlich fielen Schüsse. Die Frau hielt eine Pistole in der Hand. Henri beobachte alles aus einer dunklen Ecke der Ruine. Er konnte es kaum fassen. Die Frau hatte tatsächlich ihren Komplizen erschossen.

Während die Frau mit zitternden Händen einen Flachmann leerte, holte Henri seine eigene Waffe aus der Tasche. Langsam schraubte er den Schalldämpfer auf. Schade um die hübsche Frau, aber der Mikrofilm durfte auf keinen Fall in die Hände der Spionageabwehr fallen. Die junge Frau stopfte sich das Geld (sein Geld!) in den Mantel. Henri zielte genau auf ihren Kopf. Er legte den Finger um den Abzug. Dann passierte etwas völlig unerwartetes. Die junge Frau schleuderte ihre Handtasche durch die Ruine. Diese landete genau vor den Füssen von Henri. Er bückte sich, hob die Handtasche auf und warf einen Blick hinein. Zufrieden sah er die Streichholzschachtel. Während die hübsche Frau anfing wie wild auf ihren Knien durch die Ruine zu robben, verschwand Henri genauso lautlos, wie er gekommen war.

Schade um das Geld, dachte Henri. Aber er hatte den Mikrofilm wieder. Nur das zählte. Ein paar Strassen weiter warf Henri die Handtasche achtlos in einen Haufen Pferdeäpfel.